Meine Frau will einen Garten
ist eindeutig, das ist Säbelrasseln und Entschlossenheit. »Hier«, sagt Pia, »dein Kaffee, und jetzt mach nicht so ein Gesicht. Die Leute klangen sehr nett am Telefon. Ein solides Haus. Gar nicht so weit von München entfernt.«
Ich bin sprachlos, wie man angesichts einer großen Gefahr sprachlos ist. Meine Eltern haben sich das Reihenhäuschen in der Provinz ein Leben lang erspart, um sich spät den Traum von den sogenannten eigenen vier Wänden zu erfüllen. Dann zogen wir Kinder auch schon aus. Oder das Haus meines lieben Schwiegervaters, das er sogar selbst entworfen und gebaut hat. Und für die Kinder mit Swimmingpool und Ponystall und Hobbyraum ausgestattet hat. Dann sind die Kinder ausgezogen. Im Ponystall übernachtet jetzt der Rasenmäher. Das Haus ist zu groß und zu weit draußen.
Einfamilienhäuser sind vom Prinzip her zu groß und zu weit draußen. Das ist eingebaut. Es ist das Kleingedruckte im Traum vom Grünen. Das Einfamilienhaus ist deshalb die größte Lebenslüge der Welt. Jeder weiß, dass sich das, was als Sehnsucht anfängt, später als zu groß und zu weit draußen herausstellt.
Wenn sich junge Eltern, beispielsweise solche mit
drei Kindern, nachts im Ehebett an den Händen halten und im Geiste ihr neues Paradies, das eigene Haus, einrichten, wenn sie lustvoll Gartenkataloge wälzen und sich kichernd vorstellen, wie ihr Jüngster im Hobbykeller überglücklich Schlagzeug spielen wird, ohne dass man ihn zur Ruhe mahnen müsste wegen der empfindsamen Dame im vierten Stock links, wenn sie sich im Alter auf der Bank vor dem Haus in der immer noch wärmenden Sonne sehen, während ihre Kinder einfach nicht ausziehen wollen aus diesem sicheren Hort der Familie, der allen so ans Herz gewachsen ist, dann sollten sie, die träumenden Eltern, sich nur eine Sekunde lang das Gespräch ihrer erwachsenen Kinder am Grab der Eltern vorstellen.
Kind A: Was machen wir jetzt mit dem hässlichen Kasten?
Kind B: Verkaufen!
Kind C: An wen denn? Zu groß, zu alt, zu weit draußen.
Kind A: Mist.
Kind B: Mist.
Kind C: Verdammter Mist. Und wie ich dieses Schlagzeug im Keller immer gehasst habe.
Ich, der Stadt- und Mietfan, soll ein Romantiker sein?
Trotzdem oder gerade deshalb, weil es eine romantische Vorstellung ist, will fast jeder Mensch ein eigenes Haus. Und die größten Romantiker der Welt sind die Amerikaner. Deshalb haben wir im Jahr 2009 eine
Weltdepression. Wegen der Häuser und der Träume, die dahinterstecken. Ich werde nie ein Haus haben wollen. Ich wollte nie ein Haus haben. Ich nicht. Nie.
»Kommst du bitte, wir müssen los, wir sind nicht die Einzigen, die sich für das Haus interessieren.« Pia drängelt, sucht die Schlüssel zusammen, eine Straßenkarte, »München und Umgebung«, hat sie unter den Arm geklemmt. Sie ist ein Ami, ein Haus-Traum-Ami, dem die Haushaltsdefizite oder sonstige Randexistenzängste der Welt egal sind. Und sie sagt »wir«. Ich folge. Was bleibt mir übrig, sie ist die Supermacht.
4. Kapitel, in welchem sich ein Ausflug, eine Fahrradpumpe und das Treppenlaufen als ehezerrüttend erweisen.
Irgendwo in Südkorea existiert ein Foto von mir. Auf diesem Foto habe ich meine Lederhose an (Kniebund, Ziege extra weich), dazu trage ich ein grün kariertes Trachtenhemd (»Gloriette bügelfrei«) mit Hirschhornknöpfen, dazu einen alten braunen Janker. Ich sitze auf dem Fahrrad, linker Arm am Lenker, rechts einen Maßkrug stemmend, im Hintergrund ist der Chinesische Turm zu sehen. Ich lache in die Kamera und bin guter Laune.
Schade, dass ich dieses Foto nicht besitze. Im Grunde weiß ich gar nicht, ob es existiert. Ich weiß aber noch, dass ich - weil wir, Pia, Max, Anton, Julia und ich, im Englischen Garten Picknick gemacht haben, mit Hängematte und Fußball und Kartenspiel und Frisbee und Tote-Käfer-Sammeln und Brotzeitmachen und allem -, dass ich Lust auf eine Maß bekommen hatte. Schließlich waren wir zuvor beim Einzug der Wirte gewesen. Das ist der Auftakt zum Oktoberfest und für mich eine seltene Gelegenheit, meine Lederhose anzuziehen. Die habe ich sonst nur zum Wandern an. Auf dem Oktoberfest nie. Ich finde, dort gibt es zu viele Touristen in Tracht. Die sollen ruhig ihren Spaß haben, aber ohne meine Hose.
In meiner Erinnerung ist es ein unglaublich strahlender
Tag, mit dieser milden, kühlen Sonne, ein Tag im September. Der Festumzug war toll. Die Kinder waren begeistert. Pia hatte - mir zuliebe - ein Dirndl angezogen, was meine Frau immer ein wenig an den
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