Meine Frau will einen Garten
Baumfällen schwer verletzt. Die Polizei teilte mit, dass sich der Mann beim Versuch, das Schwert der Kettensäge, welches sich im Stamm verkeilt hatte, herauszuziehen (die Säge lief noch), starke Verletzungen zugezogen habe.« Er ist beinahe verblutet. Das ist grauenhaft. Aber noch furchtbarer, ja geradezu abgründig finde ich den Satz in der Klammer: »Die Säge lief noch.« Ich stelle mir den Satz auf einem Grabstein vor.
Ich werde neugierig und fange an, Gartenunfälle zu recherchieren. Wie sich schnell zeigt, ist die Welt voll davon. Bäume sind gefährlich. In Kleve ist ein 59-Jähriger sogar von jenem Baum erschlagen worden, den er abgesägt hatte. »Der Mann war sofort tot«, heißt es in der örtlichen Presse. Der Hinweis, dass »der Verstorbene wenig später mit Hilfe der Feuerwehr geborgen werden konnte«, spendet nur wenig Trost. Ich denke an die laufende Säge und die Feuerwehr und überlege,
ob die Eigenleistung beim Hausbau nicht ganz allgemein überschätzt wird.
Pia ist in der Küche. Ich erzähle ihr von den Gefahren der Kettensäge. Sie fragt: »Soll ich es machen? Gut, dann passt du auf die Kinder auf. Vergiss nicht: Max muss heute zum Kindergeburtstag.« Einerseits will ich vor meiner Frau nicht als Weichei dastehen, andererseits finde ich die Unbill des Kindergeburtstags auch nicht ohne. »Ich fahr ja schon.« An dieser Stelle wünsche ich mir, in ihren Augen so etwas wie Stolz zu entdecken. Stolz auf ihren Mann, der sich heute der Opferstatistik im privaten Gartenbereich in den Weg stellen will. Aber sie guckt so, als ob ich ihr viertes Kind wäre. Als ob sie nicht ganz sicher sei, ob ein Fliesenleger oder Gartenabfallhäcksler am Ende nicht eine Alternative zu mir hätte sein können. Ich bin nur Journalist. Und auch wenn Gartenarbeit reinste Kulturarbeit ist, so hat das mit meinem Job doch relativ wenig zu tun.
Eine Freundin erzählt mir, sie habe gehört, dass der gemeinsame Hausbau in der Rangliste beliebter Scheidungsgründe sehr weit vorn liege. Das ist glaubwürdig.
»Kannst du jetzt, bitte, endlich rausfahren und das Roden übernehmen?« Das »bitte« hört sich kursiv an, das »endlich« nach Versalien mit Ausrufezeichen. Pia ergänzt: »Vielleicht brauchst du gar keine Kettensäge. Nimm doch die Axt oder ein großes Beil.« Ist sie nicht wunderbar? Sie will das Haus. Ich will sie. Die Kettensäge will mich. So ist es, das sogenannte Leben.
»Andere«, sagt sie »betonieren sogar selbst.«
Oha, denke ich. Und antworte: »Hmm.«
»Oder zimmern.«
Oho. »Hmm.«
»Und fliesen und kacheln, sägen und installieren - und sparen.«
Die Botschaft ist eindeutig. Sie besagt: Geh hin, sei ein Mann und rode das Grundstück! Drei Dinge, heißt es, stehen einem Mann, der sich ein Denkmal zu Lebzeiten setzen möchte, als Maßnahmen zur Verfügung: Man kann erstens einen Baum pflanzen (respektive ein Haus bauen), zweitens ein Buch schreiben und drittens einen Sohn zeugen. Mal heißt es, das stamme von Horaz, dann wieder von Nietzsche, mal von Konfuzius oder von Luther. Ich würde Pia gerne sagen, dass Kettensägen in allen Quellen keine große Rolle spielen.
Jedenfalls habe ich das Gefühl, ich werde insgeheim von einer höheren Macht abgehakt. Sohn: erledigt. Buch, ach Gott. Bleiben Baum und Haus. Und wenn man endlich alles beieinanderhat? Dann kauft man sich noch einen Hund und bringt sich um. Oder, was theoretisch wohl besser wäre: Man wird wahnsinnig glücklich. Ich bin kein Nihilist und will lieber wahnsinnig glücklich werden. Ich weiß nur nicht, ob das geht mit drei Kindern, einer Frau, einem Garten, einem Haus, einem Vorort, einem Immobilienkredit, einem LBK-Vorbescheid in Form einer Autolänge und der Aussicht auf die Kettensäge. Ich verschiebe den Kettensägentag, Pia sagt: »Wie bei der Diagnoseklinik.«
Dann ist es doch so weit, ein Samstag im Juni. Ich fahre zu einer Firma in der Nähe von Ismaning. Mitten rein in die Welt der Vorstädte, Rasensprengmeister und Saatgutspezialisten. Die Firma heißt »Garten Eder« und wird von einem Herrn Eder geführt, der sehr stolz ist auf seinen kleinen Scherz mit dem Garten Eden, dem Paradies, in dem es auch Abbruchhämmer, Erdfräsen und Gartenhäcksler gibt. Kettensägen ebenfalls. Ich stehe etwas verloren irgendwo dazwischen. Deshalb betrachte ich eingehend das Ladenschild. Darauf steht: »Maschinen vermieten kann jeder, wir aber lösen Probleme.« Für einen Augenblick bin ich versucht, den Leuten von Schlaflosigkeit und
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