Meine Freundin Jennie
und tanzte von ihm fort, wobei sie die eine Schulter so hochzog, daß es aussah, als ob sie schief gewachsen wäre. «Komm!» rief sie Peter zu, «tanz mit mir, immer nach der Seite und schön herumgeschwenkt, auf und ab und im Kreis herum — und jetzt lauf!»
Peter konnte sich nicht entsinnen, jemals soviel Spaß gehabt zu haben oder mit einem so hinreißenden und bezaubernden Geschöpf zusammen gewesen zu sein, und ehe er sich’s versah, tanzte er neben ihr her, sprang dann hoch, drehte sich, bevor er wieder auf seine Pfoten fiel, in der Luft um sich selbst, und kaum landete er auf dem Pflaster, lief er auch schon, so schnell er nur konnte, mit Lulu weiter.
Das wiederholten sie mehrere Male, dann warf sich Lulu erschöpft auf die Seite, starrte Peter mit ihren leuchtenden blauen Augen an und meinte: «Daß ich eine Siamesin bin, wirst du mir natürlich schon angesehen haben, aber weißt du auch, daß mein Vater ein König ist und meine Mutter eine Königin? Jawohl, das sind sie, und alle meine Brüder und Schwestern sind Prinzen und Prinzessinnen. Ich bin selber eine Prinzessin, was sagst du dazu? Freut dich das nicht?» Und bevor Peter noch erwidern konnte, daß er sich tatsächlich sehr freue, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, setzte sie sich wieder aufrecht hin und sprach, als rezitiere sie etwas, was sie mal aus einem Buch auswendig gelernt hatte: «Ich bin nicht wie eine Katze und erst recht nicht wie ein Hund; ich bin mehr Wie ein Äffchen, wahrhaftig, aber hauptsächlich bin ich wie ich selber und niemand sonst. Und ich komme mit jedem gut aus.» Dann erklärte sie noch etwas unzusammenhängend: «Ich kann sogar Haarschleifen tragen», erhob sich wieder und lief den Häuserblock entlang auf die Portland Street zu. Als sie eine kurze Strecke weit gelaufen war, blieb sie stehen und schaute über ihre Schulter zurück.
«Kommst du?» rief sie.
Und ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen—was ihm auch gar nichts geholfen hätte, so sehr hatte Lulu ihn schon bezaubert — trottete Peter hinter ihr drein.
«Wo gehen wir denn hin?» fragte er.
«Oh», rief Lulu, während sie wieder einen ihrer kleinen Seitensprünge machte, «wie können wir das wissen, bevor wir angekommen sind? Irgendwohin, wo etwas los ist. Ich bin seit Ewigkeiten nicht auf Abenteuer ausgezogen, und ich bin so froh, dich getroffen zu haben. Zu zweit können wir ganz London auf den Kopf stellen...»
Mit Lulu so aufs Geratewohl irgendwohin zu laufen, war einfach herrlich und wundervoll aufregend, aber auch etwas nervenaufreibend, fand Peter. Eben noch schrie sie vor Lachen und humpelte über das Pflaster, als hätte sie ein steifes Bein, und gleich darauf sauste sie mit höchster Geschwindigkeit, die Ohren zurückgelegt, den Schwanz hinter sich ausgestreckt, über einen Gartenzaun, wobei sie Peter befahl, es ihr nachzumachen, und dann hockte sie sich plötzlich vor ein wildfremdes Haus und machte ein so todunglückliches Gesicht, als sei sie das beklagenswerteste Geschöpf auf der Welt. Die Tränen strömten ihr aus den wunderschönen Augen, und in herzzerreißendem Ton vertraute sie Peter an, daß sie ganz allein sei in diesem fremden Land, Tausende und Tausende von Meilen von Siam und allen Siamesen entfernt. «Du weißt nicht und du kannst es ja auch nicht wissen, wie das ist, so weit fort, so schrecklich weit fort von allen, die einem nahestehen...»
Peter hatte das Gefühl, als würde ihm selber das Herz brechen, während er sie so jammern hörte — sie wirkte so rührend in ihrer Verlassenheit und ihrem Kummer über die Trennung von ihren Angehörigen! Er versuchte sie zu trösten, indem er sagte: «Ach, du Arme! Komm, erzähl mir doch von deiner fernen Heimat und wo du da geboren bist. Vielleicht erleichtert es dich etwas, wenn du dich darüber aussprichst.»
«Wer? Ich?» zwitscherte Lulu, deren Tränen ebenso plötzlich trocknenden, wie sie zu fließen begonnen hatten. «Ich bin natürlich in London geboren. Wo sonst könnte schon jemand, der etwas darstellt, auf die Welt gekommen sein! Meine ganze Familie hat in London das Licht der Welt erblickt. Wir haben einen Stammbaum, der viel länger ist als unsere Schwänze. Lauter Könige und Königinnen, aber das hab ich dir schon erzählt, nicht wahr? Hast du eigentlich einen Stammbaum? Nein? Na, mach dir nichts draus. Du bist ein so lieber Kerl, daß man deswegen noch alles mögliche andere in Kauf nehmen würde. Und du bist mir gerade im richtigen Augenblick über den
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