Meine Freundin Jennie
unten!»
«Aber das hat doch keinen Sinn», wandte Peter ein. «Wenn man sie nach oben umbiegt, dann wird sie wohl wie ein Löffel, nur läuft jede Flüssigkeit dann gleich wieder runter. Biege ich sie aber nach unten um, bleibt überhaupt keine Milch daran haften. Nein, Jennie, ich werde es doch nie lernen, so zu trinken. Mit meiner Zunge bringe ich das einfach nicht fertig!»
«Ein Mensch kann das mit seiner Zunge allerdings nicht machen, aber Katzen können das ohne weiteres», entgegnete Jennie, «und was immer du bisher auch gewesen bist, jetzt bist du jedenfalls ganz eindeutig eine Katze, also probier’s nur mal! Roll deine Zunge nur richtig nach unten herum, und dann wird’s schon klappen.»
Also unternahm Peter noch einen Versuch und gab sich alle Mühe, seine Zunge nach unten herum einzurollen, und siehe da — zu seiner großen Verblüffung ließ sie sich jetzt tatsächlich so umbiegen, als hätte er sein ganzes Leben lang auf diese Weise Milch getrunken, und die kühlen süßen Tropfen gelangten wahrhaftig in seinen Mund und rannen ihm dann wohlig die Kehle herunter. Er trank und trank, als könne ei überhaupt nicht genug kriegen, doch mitten im Trinken mußte er plötzlich daran denken, wie Jennie ihm gesagt hatte, daß Katzen nicht so gierig seien, sondern alles miteinander teilten, und deshalb zog er sich, obwohl sein Durst noch nicht völlig gelöscht war, von der Untertasse zurück und sagte höflich zu Jennie: «Bitte, willst du nicht noch etwas trinken?»
Jennie belohnte ihn mit ihrem reizendsten Lächeln und erwiderte: «Wie lieb von dir, Peter! Da kann ich wohl nicht gut nein sagen», und während sie sich dann an der Milch gütlich tat, hatte Peter Muße, sich unterdessen etwas umzuschauen.
Die Baracke war höchst dürftig möbliert: ganz hinten stand ein Holzbett, auf dem ein paar zerknitterte Decken lagen; auf einem ungestrichenen und altersschwachen Tisch, der an die eine Wand gestellt war, entdeckte Peter einen kleinen Radio-Apparat, auf dem ein Wecker stand der vor dem Zifferblatt kein Glas mehr hatte. Dann gab es da noch einen wackligen Holzstuhl mit einer Rückenlehne, der fast alle Rippen fehlten, und ein paar Regale, deren Fächer nur die nötigsten Dinge für dJen täglichen Gebrauch enthielten. Genau in der Mitte des Raums befand sich ein dickbauchiger Ofen mit einem rostigen Abzugsrohr, das unmittelbar unter dem Dach ins Freie führte. Jetzt brannte ein Feuer darin, auf der einen Seite summte ein eingebeulter Teekessel, und der restliche Platz auf der Ofenplatte wurde gerade von Mr. Grims dazu benutzt, die Scheibe Leber fertigzubraten, die er zu seinem Tee zu verspeisen gedachte.
Peter bemerkte wohl, daß diese wenigen Möbelstücke alle recht armselig und abgenutzt waren, und doch sah der Raum so heiter und festlich aus wie ein Schloß, denn auf jeder Fensterbank, auf jedem Regal und wo immer sonst noch ein freier Platz dafür übrig war, stand ein Blumentopf mit den verschiedenartigsten Geranien, vom reinsten Weiß bis zum dunkelsten Karmin; einige schimmerten so rosig wie Apfelblüten und andere in allen Schattierungen von rosa bis lachsfarben; auch ein paar rotbraune gab es da und jede Nuance von rot — ziegelrot, blutrot und das golden leuchtende Rot des Sonnenuntergangs. Und der Duft der Geranien war so stark, daß selbst der Geruch der bratenden Leber nicht dagegen aufkommen konnte.
Und während er darauf wartete, daß Jennie den Rest der Milch aufschlabberte, fragte sich Peter, was für ein Leben Mr. Grims wohl früher geführt und was ihn dazu gezwungen haben mochte, seine letzten Lebensjahre als Wächter in dieser primitiven Behausung zu verbringen, und was wohl aus seiner Familie geworden war. Zu erraten versuchen, was es mit einem Menschen auf sich hatte, indem er sein Gesicht betrachtete, war ein Spiel, das Peter sehr gern spielte, doch über Mr. Grims kam er dabei nicht mit sich ins reine, da konnte er nur feststellen, daß dieser Katzenfreund sehr alt und sehr einsam sein mußte und niemanden mehr zu haben schien, der sich um ihn kümmerte, denn es hingen gar keine Photos an den Wänden.
Peter dachte auch daran, was Jennie ihm erzählt hatte: daß Mr. Grims ihr ein Heim geboten und sie schon seit Monaten zu überreden versucht habe, bei ihm zu leben, und plötzlich, er wußte selbst nicht warum, überkam Peter eine unerträgliche Traurigkeit, und das Herz wurde ihm so schwer wie Blei. Eifrig begann er sich zu putzen und fuhr sich mit der Zunge immer wieder
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