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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Sie pirschte sich an ihn heran und flüsterte ihm zu: «Halt dich bereit!»
    «Bereit für was?» wollte Peter gerade entgegnen, und da geschah es: Ein Windstoß drückte die Tür auf, bis sie etwa eine Handbreit offenstand.
    «Jetzt! Komm mit!» schrie Jennie und sauste wie ein Blitz durch den Tiirspalt hinaus, die Ohren flach an den Kopf gelegt und den Schwanz kerzengerade in der Luft.
    Peter erschrak so heftig, daß er, bevor er noch wußte, was er tat, aufsprang, ebenfalls durch die Tür flitzte und hinter Jennie her raste, immer ihrem Schwanz nach, als gälte es das Leben.
    Hinter sich hörte er Mr. Grims rufen: «Heh, ihr beiden! Was lauft ihr denn fort? Kommt doch wieder her! Puß! Weißfell! Nächstes Mal sollt ihr auch die ganze Leber haben. Kommt zurück!»
    Wenn es Peter auch schwer fiel, so schnell zu laufen, daß er mit Jennie Schritt halten konnte, brachte er es doch fertig, sich umzudrehen und zurückzublicken. Da stand Mr. Grims in der Tür seiner Baracke zwischen den Kästen mit den roten Geranien, ließ ratlos die Hände sinken und sah mit seinem weißen Haar, dem schütteren Bart und den hängenden Schultern ganz schrecklich alt und einsam aus.
    «Ach, ihr Pussies», rief er noch einmal, «lauft mir doch nich weg, bitte...»
    Aber da flüchtete Jennie sich hinter einen riesenhohen Stapel von Ölkanistern, und Peter folgte ihr und verlor Mr. Grims aus den Augen; und als sie dann weiterliefen, an hoch aufgeschichtetem Bauholz und Haufen von Kupfer- und Zinnbarren vorüber, und schließlich in ein wahres Labyrinth von aufgestapelten Eisenbahnschienen gelangten, wo kein Mensch jemanden finden konnte, der sich nicht finden lassen wollte, war auch Mr. Grims’ Stimme nicht mehr zu hören. Und da erst hielt Jennie an und sagte schnaufend: «Das hast du gut gemacht, Peter!»
    Peter aber hatte das dumpfe Gefühl, daß Jennie und er ihre Sache keineswegs gut gemacht hatten.

Die blinden Passagiere

    «War das nicht ein Jux?» sagte Jennie und lachte. «Ich werde nie den törichten Ausdruck von seinem Gesicht vergessen, wie wir ihm davongerannt sind. Er sah so unbeschreiblich einfältig aus. Fandest du’s nicht auch furchtbar komisch?»
    «Nein», sagte Peter, «das fand ich nicht.»
    Sie saßen auf einer Treppenwange unten am Themseufer nahe den London-Docks, unweit von Wapping Wall, und beobachteten drei stumpfnasige Schleppdampfer, die ein großes grauweißes Esso-Tankschiff zu seinem Liegeplatz am Kai bugsierten.
    Verblüfft bemerkte Peter, daß sein Schwanz, dessen er sich bisher nicht sonderlich bewußt geworden war, obwohl er ja solch ein Anhängsel früher nicht gehabt hatte und sich erst daran gewöhnen mußte, auf einmal heftig zuckte, sich wand und krümmte und immer wieder hin und her schlug — wie ein selbständiges Lebewesen, das gar nicht ihm gehörte.
    Jennie bemerkte es im selben Augenblick, weil sie vermutlich über den schroffen Ton, mit dem er ihre Fragen beantwortet hatte, etwas bestürzt war, denn erschrocken rief sie aus: «Oh, sieh doch nur, Peter, dein Schwanz! Ich fürchte, du bist mir böse. Hab ich denn irgend etwas Unrechtes getan?»
    «Nein», erwiderte Peter, «jedenfalls glaube ich nicht, daß du es absichtlich tatest. Es tut mir leid, daß mein Schwanz nicht still hält, aber das ist etwas, wofür ich nichts kann. Ich bin wohl bloß unruhig, weil ich mir so schäbig vorkomme.»
    «Aber warum denn, Peter? Schließlich...»
    «Schließlich», wiederholte Peter, «hat er uns die Hälfte seiner Fleischration abgegeben, obwohl er wahrscheinlich selber hungrig war. Und er sah gar nicht töricht oder komisch aus, als wir ihm wegliefen, sondern enttäuscht und einsam und richtig unglücklich.»
    «Aber Peter», protestierte Jennie, «verstehst du denn nicht: er wollte doch etwas von uns. Deshalb hat er uns die Milch und die Leber gegeben. Er wollte uns dazu herumbekommen, bei ihm zu bleiben und mit ihm zusammen in seiner schmutzigen und muffigen Baracke zu wohnen. Und würdest du dich etwa bestechen lassen?» schloß sie mit einem unverkennbaren Unterton moralischer Entrüstung.
    «Von Bestechung kann gar keine Rede sein», sagte Peter ziemlich aufgebracht. «Er hat uns so großzügig traktiert, weil er uns gut leiden mochte. Du hast doch auch gehört, wie freundlich er zu uns sprach. Und ich finde, es war wirklich gemein von uns, einfach so wegzulaufen, sobald die Tür etwas offenstand.»
    Jennies Augen funkelten vor Zorn, ihre Ohren legten sich wieder ganz flach am Kopf an, und

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