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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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und bei jeder Umdrehung der stampfenden Maschinen bis in die Grundfesten erbebte.
    Peter hatte sich mit Jennie für sechs Glas während der ersten Nachmittagswache verabredet, das hieß also um drei Uhr, denn er hatte sehr rasch gelernt, nach dem Zeitzeichen, das halbstündlich mit der Schiffsglocke auf der Brücke gegeben wurde, festzustellen, wie spät es war. An Bord der Gräfin war dies die Stunde, in der fast jeder tun konnte, was er wollte, da Kapitän Sourlies dann in seiner Kajüte sein Nachmittagsschläfchen hielt. Mr. Carluke hatte sich freilich von seiner letzten literarischen Schöpfung, die er «Der Bandit von der Goldschlucht» nannte, losreißen müssen, weil er Dienst auf der Brücke hatte, aber jedermann sonst ging seiner Liebhaberei nach oder lehnte müßig an der Reling oder machte in der Sonne ein Nickerchen. Und da die genähte Wunde in Mr. Strachans Arm ihn noch immer sehr schmerzte, war sein Strohmann in Ungnade gefallen und in eine Ecke verbannt, und der rothaarige Offizier spann an diesem Nachmittag sein Seemannsgarn mit Mr. Box, dem Zimmerer, dem er eine höchst merkwürdige Geschichte erzählte, die ihm während des Krieges in Gibraltar passiert war. Als Beweis dafür zog er einen Kupferpenny mit dem Bild der Königin Victoria aus dem Jahre 1890 hervor, den er damals zufällig bei sich getragen hatte.
    Jennie lag bereits oben auf der Heckreling und döste in der milden Frühlingssonne vor sich hin. Sie hielt sich mit Vorliebe dort auf, weil sie von dieser Höhe aus alles überblicken konnte, und auch, um ihre Überlegenheit zu zeigen, denn alle hatten ihr schon prophezeit, daß sie noch eines Tages von da oben abrutschen und ins Meer fallen würde; aber natürlich gab es keine Katze, die sich auf ihren Pfoten so sicher fühlte wie Jennie Baldrin.
    Peter erwachte prompt zehn Minuten vor drei — wie er zu seiner Freude bemerkte, konnte er jetzt immer genau zu der Zeit aufwachen, wie er sich’s vorgenommen hatte — und machte eilig Toilette, indem er sich mit seiner rauhen Zunge nur eben rasch das Fell glattstrich. Er reckte sich noch ein paarmal und schlenderte dann gemächlich aus dem unteren Vorratsraum, den der Smutje ihm als Logis zugewiesen und den Peter auch von jedwedem Ungeziefer und den schädlichen Nagetieren freizuhalten hatte. Bis zu diesem Augenblick hatte es dort nur Mäuse gegeben, und es war Peter nicht schwer gefallen, dafür zu sorgen, daß sie nicht überhandnahmen.
    Er hätte die Ratte schon lange, bevor er sie erblickte, riechen müssen, aber wenn er auch den scharfen Geruchssinn einer Katze besaß, so war sein Gehirn doch noch das eines Menschen, und er hatte in diesen Minuten nur daran gedacht, daß er Jennie unbedingt von dem Heizer erzählen mußte, der ein so großer Bewunderer von Winston Churchill war, daß er sich sein Bild mit der Zigarre und allem hatte auf die Brust tätowieren lassen. Und so kam es, daß Peter nicht auf der Hut war und sich, als er die Ratte endlich sah, in einer sehr ungünstigen Position befand.
    Das Biest war beinahe so groß wie ein junger Foxterrier und hockte eingekeilt in einer kleinen Nische aus ein paar aufgestapelten Holzkisten mit Bohnenkonserven, von denen Mealie aus der Mitte einige Kisten bereits fortgenommen hatte. Außerdem war es ja heller Tag, Peter trat nicht so leise auf, daß man ihn nicht hätte hören können, und so sah die Ratte Peter im selben Augenblick, in dem er ihrer ansichtig wurde. Sie quiekte vor Wut schrill auf und fletschte dabei ihre langen gelben Zähne» die, wie Peter wußte, so unrein waren, daß schon ein einziger Kratzer ihn tödlich verwunden konnte. Und jetzt verstand er erst, was die Leute meinten, wenn sie sagten: , oder vielmehr, er war im Begriff, es zu verstehen. Denn obwohl Jennie ihm immer wieder eingeschärft hatte, eine Ratte nur dann anzugreifen, wenn er ihr draußen im Freien begegnete, war er fest entschlossen, es mit dieser aufzunehmen und zu beweisen, was er konnte.
    Es wunderte ihn, daß er in diesem gefährlichen Augenblick gar nicht an die Kunstgriffe dachte, die Jennie ihm beigebracht, oder an die Verhaltungsmaßregeln, die sie ihm gegeben hatte, sondern daß seine Gedanken ungewöhnlich ruhig und klar waren und sein Angriffsplan sich ganz von selbst entwickelte, als hätte er ihn schon immer im Kopf parat gehabt. Erst viel später kam er dahinter, daß dies ein Ergebnis des theoretischen und praktischen Trainings war, dessen er

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