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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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unterschrieb sie; und ich reichte ihr Mrs. Clemens’ Notiz, die
sehr kurz, sehr knapp und sehr direkt war. Sie lautete:
»Im Weißen Haus nicht deine
Galoschen tragen.«
Sie stieß einen Schrei aus; auf meine Bitte ließ sie einen Boten kommen,
und wir schickten die Visitenkarte sofort mit der Post auf den Weg zu Mrs. Clemens in
Hartford.
    1893 und 94 lebten wir
in Paris, die erste Hälfte der Zeit im Hotel Brighton in der Rue de Rivoli, die andere Hälfte in
einer reizenden Villa in derRue de l’Université am anderen Ufer der Seine, die
uns mit etwas Glück durch das Pech eines anderen Mannes zugefallen war. Dieser andere war Pomeroy,
der Künstler. Ein Krankheitsfall in seiner Familie hatte ihn genötigt, an die Riviera zu fahren. Er
zahlte für das Haus dreitausendsechshundert Dollar im Jahr, überließ es uns jedoch für
zweitausendsechshundert. Es war einfach herrlich; unendlich groß, idyllisch, reizend möbliert und
hergerichtet; nach keinem besonderen Plan erbaut; entzückend weitläufig, labyrinthisch und voller
Überraschungen. Dauernd verlief man sich und fand Nischen und Ecken und Zimmer, von denen man nichts
wusste und deren Vorhandensein man nicht einmal geahnt hatte. Es war von einem reichen französischen
Künstler erbaut worden, der es selbst möbliert und hergerichtet hatte. Das Atelier war die
Gemütlichkeit selbst. Uns diente es als Gesellschaftszimmer, Empfangszimmer, Wohnzimmer, Tanzsaal –
es diente uns für alles. Wir konnten nicht genug davon bekommen. Seltsam, dass es sich so gemütlich
ausnahm, denn es war zwölf Meter lang, zwölf Meter hoch und neun Meter breit, auf beiden Seiten je
ein riesiger Kamin in der Mitte und eine Musiker-Gemäldegalerie an einem Ende. Allerdings hatten wir
schon früher herausgefunden, dass Geräumigkeit und Gemütlichkeit unter den richtigen Bedingungen
äußerst harmonisch zusammengehen. Wir hatten das vor ein oder zwei Jahren herausgefunden, als wir in
der Villa Viviani drei Meilen vor den Mauern von Florenz lebten. Jenes Haus hatte ein Zimmer, das
zwölf Meter im Quadrat maß und zwölf Meter hoch war, und zuerst konnten wir es darin gar nicht
aushalten. Wir nannten es Mammuthöhle; wir nannten es Eislaufbahn; wir nannten es Große Sahara; wir
bedachten es mit allen möglichen Namen, um unser Missfallen zu bekunden. Wir mussten es
durchwandern, um von einem Ende des Hauses zum anderen zu gelangen, aber wir durchwanderten es, ohne
zu verweilen – doch schon bald und ohne zu wissen, wie es dazu kam, fielen wir Tag und Nacht in das
riesige Zimmer ein und zogen es jedem anderen Teil des Hauses vor.
    Vor vier oder fünf Jahren, als wir ein Haus am Ufer des Hudson in
Riverdale bezogen, schlenderten wir auf unserem Besichtigungsrundgang von Zimmer zu Zimmer, von
wachsendem Zweifel heimgesucht, ob wir das Haus wollten oder nicht. Schließlich aber gelangten wir
zu einem Esszimmer,das achtzehn Meter lang und neun Meter breit war und zwei
große Kamine hatte, das entschied die Sache.
    Aber ich bin abgeschweift. Worüber ich eigentlich zu sprechen
beabsichtigte, war etwas ganz anderes, nämlich dies: In jenem angenehmen Pariser Haus hielt Mrs.
Clemens ein- oder zweimal in der Woche kleine Abendgesellschaften ab, und es versteht sich von
selbst, dass unter diesen Umständen meine Charakterfehler reichlich Gelegenheit hatten, sich
bemerkbar zu machen. Sobald die Gäste das Haus verlassen hatten, wusste ich
unweigerlich
,
dass ich mich wieder einmal danebenbenommen hatten. Mrs. Clemens zählte verschiedene Dinge auf, die
ich getan hatte und nicht hätte tun dürfen, und stets konnte sie sagen:
    »Ich hab’s dir wieder und wieder gesagt,
aber du tust es jedes Mal, als hätte ich dich nie gewarnt.«
    Die Kinder blieben immer auf, um in den Genuss zu kommen, dieses
Gespräch mit anzuhören. Nichts ergötzte sie mehr, nichts entzückte sie mehr, nichts befriedigte ihre
Seelen mehr, als mich so in die Mangel genommen zu sehen. Sobald wir die Treppe hinaufstiegen,
hörten wir hastiges Getrappel und wussten, dass die Kinder uns wieder einmal belauscht hatten. Sie
hatten einen Namen für diese Vorstellung. Sie nannten sie »Papa herunterputzen«. Normalerweise waren
sie folgsame junge Rabauken, durch Gewohnheit, durch Erziehung, durch lange Erfahrung; doch hier
überschritten sie die Grenze. Sie konnten nicht davon abgehalten werden, in Hörweite zu bleiben,
wenn ich heruntergeputzt wurde.
    Schließlich hatte ich eine Eingebung. Es ist erstaunlich, dass ich nicht schon

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