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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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bin mir sicher, dass ich ihn kenne –, kostete ihn diese
Verlautbarung mehr Schmerz und Scham als irgendeine andere, die jeaus seiner
Feder oder aus seinem Mund geflossen ist. Ich bin weit davon entfernt, ihn tadeln zu wollen. Wäre
ich an seiner Stelle gewesen, hätte meine Amtspflicht mich genötigt, genau das Gleiche zu äußern. Es
war eine Konvention, eine alte Tradition, und er musste ihr treu bleiben. Er konnte nichts dafür.
Folgendes sagte er:
     
    Washington, 10. März
    Wood, Manila –
    Ich beglückwünsche Sie und die Offiziere und Männer unter Ihrem Kommando zu der
großartigen Heldentat, mit der Sie gemeinsam die Ehre der amerikanischen Flagge hochgehalten
haben.
    (Gezeichnet) Theodore Roosevelt
     
    Die ganze Verlautbarung ist nichts als
Konvention. Keins seiner Worte kam von Herzen. Er wusste genau, dass es keine großartige Heldentat
war, sechshundert hilflose und unbewaffnete Wilde in einem Loch einzukesseln wie Ratten in einer
Falle und sie binnen anderthalb Tagen einen nach dem anderen aus einer sicheren Stellung oben auf
der Anhöhe zu massakrieren – dass es nicht einmal dann eine großartige Heldentat gewesen wäre, wenn
das christliche Amerika, vertreten durch seine besoldeten Soldaten, sie mit Bibeln und der Goldenen
Regel statt mit Kugeln niedergeschossen hätte. Er wusste genau, dass unsere uniformierten
Meuchelmörder die Ehre der amerikanischen Flagge
nicht
hochgehalten hatten, sondern
vorgegangen waren, wie sie in den Philippinen seit acht Jahren ununterbrochen vorgehen – das heißt,
dass sie sie entehrt hatten.
    Am
nächsten Tag, Sonntag – also gestern –, brachte ein Überseetelegramm weitere Neuigkeiten – noch
glänzendere Neuigkeiten – noch mehr Ehre für die Flagge. Die erste Schlagzeile brüllt uns diese
Information in schreienden Großbuchstaben zu: »BEI GEMETZEL AN MOROS FRAUEN GETÖTET.«
    »Gemetzel« ist das passende Wort.
Zweifellos gibt es in
Webster’s Ungekürztem
Wörterbuch
kein besseres für diesen Anlass.
    Die nächste Schlagzeile lautet:
    »Frauen und Kinder unter dem Mob im Krater, alle starben
zusammen.«
    Es waren ja nur nackte Wilde, und doch haftet der Schlagzeile, wenn das Wort »Kinder« darin
vorkommt, ein gewisses Pathos an, denn es führt uns unvermeidlich unser vollkommenstes Symbol der
Unschuld wie der Hilflosigkeit vor Augen; und kraft seiner unsterblichen Beredsamkeit lösen sich
Hautfarbe, Glaubensbekenntnis und Nationalität in Luft auf, und wir sehen nur, dass es Kinder sind –
bloß Kinder. Und wenn sie sich ängstigen und weinen und in Not sind, schlägt ihnen, einer
natürlichen Regung folgend, unser Mitgefühl entgegen. Wir sehen ein Bild. Wir sehen die kleinen
Körper. Wir sehen die entsetzten Gesichter. Wir sehen die Tränen. Wir sehen die Händchen, die sich
flehentlich an die Mutter klammern; aber die Kinder, von denen wir sprechen, sehen wir nicht. An
ihrer Stelle sehen wir die kleinen Geschöpfe, die wir kennen und lieben.
    Die nächste Überschrift glüht vor
amerikanischem und christlichem Ruhm wie die Sonne im Zenit:
    »Zahl der Toten steigt auf 900.«
    Noch nie war ich so schwärmerisch stolz
auf die Flagge wie jetzt!
    Die
nächste Überschrift erklärt, wie sicher unsere wagemutigen Soldaten postiert waren. Sie
lautet:
    »Unmöglich, im
erbitterten Kampf auf Mount Dajo die Geschlechter auseinanderzuhalten.«
    Die nackten Wilden befanden sich so weit
unten auf dem Grund des Kraters, in ihrer Falle, dass unsere Soldaten die Brüste einer Frau nicht
von den rudimentären Organen eines Mannes unterscheiden konnten – sie waren so weit entfernt, dass
unsere Soldaten ein Kleinkind nicht von einem 1 Meter 80 großen Schwarzen unterscheiden konnten.
Es war die bei weitem ungefährlichste
Schlacht, in der christliche Soldaten irgendeiner Nationalität je zum Einsatz
gekommen waren.
    Die
nächste Überschrift lautet:
    »Kämpfe dauerten vier Tage.«
    Dann haben unsere Männer also vier Tage lang gewütet statt nur
anderthalb. Es war ein langes und fröhliches Picknick, bei dem es nichts weiter zu tun gab, als
gemütlich herumzusitzen, die Leute dort unten mit unserer höchst moralischen Goldenen Regel zu
beschießen, sich Briefe auszudenken,die man an die bewundernden Familien
daheim schreiben würde, und Ruhm auf Ruhm zu häufen. Die Wilden, die für ihre Freiheit kämpften,
hatten dieselben vier Tage zur Verfügung, doch für sie muss es eine schlimme Zeit gewesen sein.
Jeden Tag mussten sie mit ansehen, wie

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