Meine geheime Autobiographie - Textedition
wieder in New York sein müsse, um bei einer Bestattung in seiner eigenen
Kirche seines Amtes zu walten. Er fuhr also in die Stadt in Jersey, und als Angehörige und Freunde
alle im Wohnzimmer versammelt waren, erhob er sich hinter dem Sarg, streckte in der feierlichen
Stille die Hände in die Höhe und sagte:
»Lasset uns beten.«
Da zupfte es an seinem Rockzipfel, und er beugte sich hinab, um die
Botschaft entgegenzunehmen. Der Witwer flüsterte ihm zu: »Noch nicht, noch nicht – warten Sie ein
wenig.«
McKnight wartete eine
Weile. Dann wurde ihm bewusst, dass die Zeit verstrich und er unter keinen Umständen seinen Zug und
die andere Beerdigung verpassen durfte, und so stand er abermals auf, hob die Hände in die Höhe und
sagte:
»Lasset uns beten.«
Wieder zupfte es an seinem Rockzipfel.
Er bückte sich und erhielt dieselbe Botschaft: »Noch nicht, noch nicht – warten Sie ein
wenig.«
Er wartete; fühlte sich
unbehaglicher denn je; stand ein drittes Mal auf, hob die Hände in die Höhe, und wieder zupfte es.
Als er sich diesmal bückte, erklärte der Mann flüsternd:
»Warten Sie ein wenig. Sie ist noch nicht vollständig. Der Magen
ist beim Apotheker.«
Über Twichell
wurden mehrere Dinge erzählt, die seine tolerante Haltung und seine Großzügigkeit veranschaulichen,
und in dieser Hinsicht hatte ich selbst etwas beizusteuern. Vor drei oder vier Jahren, als Sir
Thomas Lipton herüberkam, um an der Regatta um den America’s Cup teilzunehmen, wurde ich eingeladen,
zusammen mit einem halben Dutzend anderer Weltkinder auf Mr. Rogers’ Yacht, der
Kanawha,
die Regatta zu verfolgen. Mr. Rogers mag Twichell sehr und wollte auch ihn einladen, traute sich
jedoch nichtrecht, weil er glaubte, dass sich Twichell unter diesen
Weltkindern nicht wohl fühlen würde. Ich sagte, dass ich mir da keine Sorgen mache. Ich sagte,
Twichell sei während des Bürgerkriegs Kaplan in einer Kampfbrigade gewesen und notwendigerweise mit
so etwa allen Arten von Weltkindern vertraut, die es geben mochte; und so bat mich Mr. Rogers – wenn
auch von starken Zweifeln geplagt –, ihn einzuladen, er werde sein Bestes tun und dafür sorgen, dass
die Weltkinder ihre Weltlichkeit im Zaume hielten und Twichells Amtstracht die gebührende Achtung
und Ehrerbietung erwiesen.
Als
Twichell und ich um acht Uhr morgens am Pier ankamen, wartete die Barkasse auf uns. Alle anderen
waren bereits an Bord. Die Yacht ankerte segelfertig weiter draußen. Twichell und ich gelangten an
Bord und stiegen hinauf zu dem kleinen Salon auf dem Oberdeck. Die Tür stand offen, und als wir
näher traten, hörten wir ausgelassenes Gelächter und Geplauder, und ich erkannte, dass die
Weltkinder sich äußerst weltlich vergnügten. Als Twichell allerdings in der Tür erschien, kam all
die Ausgelassenheit so unvermittelt zum Erliegen, als sei sie per elektrischem Knopf ausgeschaltet
worden, und die fröhlichen Gesichter der Weltkinder trugen sofort einen angemessenen und
eindrucksvollen Ernst zur Schau. Das letzte Wort, das wir von ihnen gehört hatten, war der Name
Richard Crokers, des gefeierten Tammany-Führers, allseitigen Dummschwätzers und größten Plünderers
des Stadtsäckels. Twichell schüttelte allen die Hand und platzte los:
»Sie haben Richard Croker erwähnt. Ich
kannte seinen Vater sehr gut. Im Bürgerkrieg war er erster Fuhrmann unserer Brigade – der Brigade
von Sickles –, ein ausgezeichneter Mann, so ausgezeichnet, wie man es sich nur wünschen kann.
Natürlich war er immer schlammbespritzt, aber das machte nichts. Der Mann in den verschmutzten
Kleidern war ein ganzer Mann; er war gebildet, ja sogar sehr gebildet. Er war belesen. Und er war
Gräzist; kein oberflächlicher, sondern ein echter Gräzist; er las immer aus seinem griechischen
Testament vor, und wenn er es nicht zur Hand hatte, konnte er es aus dem Gedächtnis rezitieren, und
das tat er gut und mit Elan. Bald darauf sah ich zu meiner Freude, dass er hin und wieder an einem
Sonntagmorgen herüberkam, sich mit den Jungs unter die Bäume in unserem Lager setzte undsich meinen Gottesdienst anhörte. Ich konnte es nicht unterlassen, mich ihm
vorzustellen – das heißt, ich konnte es nicht unterlassen, ihn darauf anzusprechen, und ich
sagte:
›Mr. Croker, ich möchte
Ihnen sagen, was für eine Freude es ist, dass Sie herüberkommen, sich zu meinen Jungs setzen und mir
zuhören. Ich weiß, wie schwer es Ihnen fallen muss, und ich möchte meine Bewunderung für einen
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