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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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da der Fall des jungen kalifornischen Emigranten, der sich betrank und vorschlug, in einer düster-bedrohlichen Nacht ganz allein das»Haus des Walisers« zu überfallen. 34 Dieses Haus stand auf halber Höhe des Holliday’s Hill (»Cardiff« Hill), und seine einzigen Bewohner waren eine arme, aber ehrbare Witwe und ihre unbescholtene Tochter. Der brutale Eindringling weckte mit seinen obszönen Rufen und seinen derben Herausforderungen und Verwünschungen das ganze Dorf. Ich ging mit einem Freund – ich glaube, John Briggs – hinauf, um zuzuschauen und zu lauschen. Die Umrisse des Mannes waren schwach zu erkennen; die Frauen saßen auf der Veranda, waren im tiefen Schatten des Daches jedoch nicht sichtbar, doch hörten wir die Stimme der älteren Frau. Sie hatte eine alte Flinte mit Schrotkugeln geladen und warnte den Mann, wenn er nicht verschwunden wäre, bevor sie bis zehn gezählt hätte, würde es ihn sein Leben kosten. Langsam begann sie zu zählen; er aber begann zu lachen. Bei »sechs« verging ihm das Lachen; dann durch die tiefe Stille, mit fester Stimme, folgte der Rest der Geschichte: »sieben … acht … neun« – eine lange Pause, wir hielten den Atem an –
»zehn!«.
Eine rote Stichflamme schoss in die Nacht, und der Mann fiel um, die Brust von Kugeln durchsiebt. Dann platzten Regen und Donner los, und im grellen Licht der Blitze schwärmte die wartende Stadt den Hügel hinan wie eine Invasion von Ameisen. Diese Leute sahen alles Übrige; ich hatte mein Teil bekommen und war zufrieden. Ich ging nach Hause, um zu träumen, und wurde nicht enttäuscht.
    Meine Schulung, meine Ausbildung gewährten mir tiefere Einblicke in diese Tragödien, als sie einem unwissenden Menschen möglich gewesen wären. Ich wusste, wozu sie gut waren. Ich versuchte, es vor mir zu verbergen, doch in den geheimen Tiefen meines unruhigen Herzens wusste ich es – und
wusste
, dass ich es wusste. Sie waren Erfindungen der Vorsehung, um mich zu einem besseren Leben zu verleiten. Heute hört sich das eigentümlich unschuldig und selbstgefällig an, für mich aber hatte es nichts Befremdliches; es stand ganz im Einklang mit den überlegten und umsichtigen Wegen der Vorsehung, so wie ich sie auffasste. Es hätte mich nicht weiter erstaunt und mir auch nicht über Gebühr geschmeichelt, wenn die Vorsehung die ganze Gemeinde umgebracht hätte, um zu versuchen, eine Bereicherung wie mich zu retten. So wie ich erzogen war, wäre es genau das Richtige gewesen undhätte den Aufwand wohl gelohnt.
Weshalb
die Vorsehung ein so eifriges Interesse an einem solchen Besitz hatte – diese Frage kam mir nie in den Sinn, und in dem einfachen Weiler gab es niemanden, der auch nur im Traum daran gedacht hätte, sie zu stellen. Ohnehin war niemand dafür ausgerüstet.
    Es ist wirklich wahr: Alle diese Tragödien bezog ich auf mich selbst; und verrechnete sie der Reihe nach, indem ich jedes Mal mit einem Seufzer zu mir sagte: »Wieder hat einer ins Gras gebissen – und zwar mir zuliebe; das sollte mich zur Umkehr bewegen; Seine Geduld wird nicht ewig vorhalten.« Aber insgeheim glaubte ich doch daran. Das heißt, tagsüber glaubte ich daran; nicht jedoch bei Nacht. Bei Sonnenuntergang verließ mich mein Glaube, und klamme Ängste beschlichen mich. Dann erst bereute ich. Es waren schreckliche Nächte, Nächte der Verzweiflung, Nächte, die durchdrungen waren von der Bitternis des Todes. Nach jeder Tragödie begriff ich die Warnung und bereute; bereute und bettelte; bettelte wie ein Feigling, bettelte wie ein Hund; nicht etwa im Interesse der armen Menschen, die mir zuliebe ausgelöscht worden waren, sondern allein in meinem eigenen. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, kommt es mir eigennützig vor.
    Meine Reue war jedes Mal sehr echt, sehr ernst; und nach jeder Tragödie stellte sie sich lange Zeit allnächtlich ein. Das Tageslicht hingegen konnte sie meist nicht ertragen. Sie verblasste, zerfiel und verschwand im hellen Glanz der Sonne. Sie war ein Geschöpf der Furcht und der Finsternis und andernorts nicht von Dauer. Der Tag schenkte mir Mut und Frieden, und des Nachts bereute ich von neuem. Ich bin mir nicht sicher, ob ich während meiner Kindheit tagsüber je versucht – oder auch nur gewünscht – habe, ein besseres Leben zu führen. Im Alter würde ich nicht im Traum daran denken, mir dergleichen zu wünschen. Doch auch im Alter beschert die Nacht mir oft tiefe Zerknirschung, wie in meiner Jugend. Ich merke, dass ich von der Wiege an wie

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