Meine geheime Autobiographie - Textedition
Erdenwurm, dass es die Vorsehung war, die ihn über Bord gespült
hat, und behält nur, dassdie Vorsehung ihn gerettet hat. An der
plumpen, langsamen und schwerfälligen Erfindungsgabe der Vorsehung in Sachen
Lebensrettung hat er nichts auszusetzen, hat keine sarkastischen Worte für sie
übrig, erblickt in ihrer Zögerlichkeit, ihrer Ineffektivität nichts als Nahrung für
Bewunderung, empfindet sie als Wunder, als Mirakel; und je länger sie braucht, je
ineffektiver sie ist, desto größer das Mirakel; unterdessen gestattet er sich
niemals, dem zähen alten Kapitän, der ihn wirklich gerettet hat, ein herzliches,
inniges, uneingeschränktes Loblied zu singen, sondern tut ihn halbherzig als
»Instrument der rettenden Vorsehung« ab.
Um in das Eckzimmer und zu dem mit alten Blackwoods
und moderner spiritualistischer Literatur im Wert von zwanzig Dollar beladenen
Bücherschrank zu gelangen, musste ich – die Schilderung habe ich mir erspart – durch
ein Zimmer gehen, das mein Schlafzimmer ist. Es hat eine gute Größe, es hat eine
gute Form – neun mal sieben Meter. Ursprünglich war es fünfzehn Meter lang und
erstreckte sich von einer Seite des Hauses bis zur anderen nach bester italienischer
Manier, die das Schlafzimmer eines jeden – König, Adliger, Leibeigener – zu einem
Durchgang ins nächste Zimmer macht; die derzeitige Eigentümerin hingegen, die
amerikanische Gräfin, hat sechs Meter des Zimmers abgetrennt, drei davon dem Raum
als Badezimmer angefügt und den Rest einem Flur überlassen. Das Schlafzimmer wird
durch eine dieser bereits beschriebenen hohen Glastüren erhellt, die auf die
Terrasse gehen. In der Mitte wird es von strahlend weißen Säulen mit dorischen
Kapitellen unterteilt, die so groß sind wie ich und die an jedem Ende ein kleiner
und in der Mitte ein langer Bogen ziert; das hat in der Tat Grandezza und ist sehr
imposant. Der große Kamin ist aus weißem Marmor und die Steinmetzarbeit von jener
anmutigen und zierlichen Art, die ihrem Alter, vermutlich vierhundert Jahren,
angemessen ist. Der Kamin und die stattlichen Säulen sind Aristokraten, sie erkennen
ihre Verwandtschaft und lächeln einander zu. Allerdings nur, wenn sie nicht gerade
auf die restlichen Habseligkeiten des Zimmers fluchen. Die vordere Zimmerhälfte
leuchtet geradezu – eine Tapete von grässlichem Muster, grellen Farben und so
billigem Material, dass es die kühnsten Träume des Geizes übertrifft. Die hintere
Hälfte ist vom Boden bis zur Decke in einem abstoßend dumpfen, stumpfenGelb gestrichen. Es scheint sonderbar, dass Gelb in Europa die
bevorzugte Farbe ist, mit der man eine Wand verunziert; ich habe noch keine gelbe
Wand gesehen, die mich nicht deprimiert und unglücklich gemacht hätte. Der
Zimmerboden wird durch einen pensionierten Alptraum von einem Teppich bedeckt,
dessen Muster ausladend und aufrührerisch ist und dessen empörte Rot-, Schwarz- und
Gelbtöne bei Tag und Nacht miteinander streiten und jede Aussöhnung verweigern. Es
gibt eine Tür, die ins Badezimmer führt, und an demselben Ende des Zimmers eine Tür,
die auf einen schuhkartongroßen Gang hinausgeht, der zu einer weiteren Toilette
führt. Diese beiden Türen folgen streng dem Gesetz europäischer Behausungen, ob für
Prinzen oder für Bettelknaben gebaut, will sagen, es sind derbe, dünne, schwache,
billige Bretter, Türen von der Art, wie sie ein Neger in den Südstaaten an seinem
Hühnerstall anbringt. Anstelle eines Knaufs haben sie wie alle solche Türen auf dem
Kontinent eine Klinke. Diese hebelt einen Riegel aus dem Schloss, der keine Federn
aufweist und daher nur unter Gewaltanwendung wieder ins Schloss zurückspringt. Eine
solche Tür kann man nicht zuknallen, sie würde einfach zurückschnellen. In der
Klinke verfängt sich jedes Kleidungsstück, das versucht vorbeizukommen; wenn es
nicht reißfest ist, zerreißt es; wenn es reißfest ist, stoppt es den Träger mit
einer Jähheit, Heftigkeit und Unerwartetheit, die, wer er auch sein mag, all seine
religiöse Zurückhaltung zunichtemachen.
Am vorderen Ende des Schlafzimmers gibt es an allen
Seiten Türen, so dass jeder, der will, zu jeder Tages- oder Nachtzeit
hindurchstapfen kann, da dies der einzige Weg ist, um zu dem dahinterliegenden
Zimmer zu gelangen, wo in dem Schrank die kostbare Bibliothek untergebracht ist.
Mobiliar: ein lachsfarbenes Seidensofa, ein lachsfarbener
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