Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
»Deine Freunde haben auf meinem Grundstück nichts zu suchen!« Dann knallte sie die Tür wieder zu. Weenie erschien im Fenster und brach in ein wildes Gebell aus, ehe Grandma ihn von dort fortzog.
»Komm, Biswick«, sagte ich, während wir den Hintereingang
benutzten. Veraleen stand plaudernd am Herd: »Und wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe, dann wäre auch dir gleich klar gewesen, dass es sich um eine übel riechende Eiterbeule …« Die Küche duftete nach einem langsam vor sich hin simmernden Schmortopf, einem meiner Lieblingsgerichte. Mama, der Adressat von Veraleens Geschichte, war früh nach Hause gekommen und deckte den Tisch. Ich vermied es, ihr in die Augen zu schauen. Denn wenn ich es täte, wüsste sie sofort, was los wäre, und könnte doch nichts dagegen tun. Es war ja auch nur ein weiteres meiner legendären Unglücke und Missgeschicke.
»Ihr beiden könnt abwaschen«, sagte Veraleen über ihre Schulter hinweg zu uns, bevor sie weitererzählte: »… eine übel riechende Eiterbeule handelte. Jeder Viehdoktor hätte gewusst, dass man da nicht mit einer unsterilisierten Nadel herangehen durfte, also hab ich ihm vorher gesagt, was passieren würde …« Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen.
»Merilee, was ist mit dir, Schätzchen?« Mama wusste sofort, dass etwas los war. Natürlich wusste sie es. Sie war eben Mama. Biswick schnappte sich einen Keks von der Arbeitsplatte und entschwand kichernd aus Veraleens Reichweite.
Er ließ sich neben mich plumpsen und verkündete: »Sie haben ihr Notizbuch geklaut.« Darauf biss er ein Riesenstück von seinem Keks ab.
»Was zum Teufel …?«, fluchte Veraleen.
»Wer hat dein Notizbuch geklaut?«, fragte Mama, während sie den letzten Teller wegräumte. Ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste ich, dass sie mich über den Rand ihrer Katzenbrille hinweg anschaute. Sie schien ohnehin besser über sie hinwegals durch sie hindurchzusehen.
Ich machte einen FF-Atemzug.
Veraleen kam zu mir an den Tisch und klopfte mir sanft auf den Rücken. »Es ist gut, so was loszuwerden. Wenn man die
Dinge in sich hineinfrisst, schwellen sie nur an wie diese Eiterbeule.«
»Nichts zu machen, Mama. Es ist weg. Schauerlich.« Ich wollte nicht, dass Mama den Familien meiner Quälgeister einen Besuch abstattet. Vor vielen Jahren hat sie das schon einmal gemacht, und ich habe sie gebeten, es nie wieder zu tun.
Plötzlich fing Weenie im Garten zu bellen an. Veraleen spähte aus dem Fenster. »Er hat irgendwas im Baum von Ms Monroe entdeckt.« Sie lachte. »Kommt und seht euch das an.«
Biswick und ich standen auf. Mama ging hinter mir her und legte mir sanft eine Hand auf die Schulter. Weenie kläffte wütend den Baum an, während er um den Stamm herumlief.
Wir folgten Veraleen, die nach draußen gegangen war. Bug kam vom Nebengrundstück mit dem Fahrrad angerollt und schloss sich uns an.
Grandma Birdy öffnete ihre Tür und schrie: »Komm sofort rein, undankbarer Köter!« Weenie wedelte mit dem Schwanz und trippelte winselnd vor dem Baum hin und her, bevor er gehorchte. Hinter ihm fiel die Tür krachend ins Schloss.
Ich war die Erste, die Grandmas Baum erreichte, und blickte zu seinen Ästen empor. Nahe der Krone hatte sich ein dunkler Gegenstand in einer Astgabel verfangen. Zunächst dachte ich, es sei ein Vogelnest, doch als ich den Kopf ein wenig zur Seite legte, begriff ich, was es war - mein Notizbuch. Ich seufzte erleichtert auf.
Alle standen um mich herum. Auch sie hatten den Kopf in den Nacken gelegt, wie meine PEZ-Boxen.
»Was macht dein Notizbuch in Grandmas Baum?«, wollte Bug wissen. Ein Regentropfen fiel mir direkt ins Auge. Ich blickte blinzelnd in den Himmel. Eine kleine Wolke schwebte direkt über unserem Garten, wie in einem Zeichentrickfilm. Außerordentlich. Regen.
»Ach du lieber Himmel, warum machen sie das nur?«, fragte
Veraleen. Sie versuchte, Grandmas Baum zu schütteln, doch der war wie Grandma selbst: dürre Äste, aber ein robuster, unerschütterlicher Stamm.
»Wir könnten die Feuerwehr rufen«, schlug sie fröhlich vor. In Jumbo haben wir gar keine richtige Feuerwehr. Nur einen Haufen ehrenamtlicher alter Knacker, wie Grandma sie nennt, die mit ihrem altertümlichen Löschwagen unterwegs sind. Weitere Regentropfen fielen, lange und dünne Exemplare, als wollten sie uns warnen: »Wir werden uns rasch vervielfältigen. Geht lieber ins Haus.«
Die anfängliche Euphorie, mein Notizbuch wiedergefunden zu haben, wich einer bohrenden
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