Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
Nigeria wollte.
»Das habe ich dir doch erzählt, Kleines. Ich werde nach Australien gehen und dort im Busch arbeiten.« Sie sagte das in so beiläufigem Ton, als würde sie ihre Piggly-Wiggly-Einkaufsliste vorlesen. Dann grub sie weiter, während sie zu singen anfing: »Whistling on the table, singing in the bed, the devil will get you before you are dead.«
Ich wusste nicht, ob es an der Hitze lag, doch mir war richtig schwindelig, während mir Bilder von Glühwürmchen im September, von tanzenden Zikaden, Teufeln und frühen Gräbern durch den Kopf schossen. Ich machte zwei tiefe FF-Atemzüge.
Ich wollte Biswick ins Haus folgen, doch Veraleens riesige, warme Bärenpranke fasste nach meiner Hand und hielt mich zurück. Ich fühlte mich sofort besser, als hätte ich gerade einen ihrer warmen Kekse gegessen. Dabei hasse ich es sonst, berührt zu werden. Dennoch zuckte meine Hand zurück.
»Dem Baby geht’s gut, Merilee«, sagte sie. »Deine Mama würde mich nicht bei euch arbeiten lassen, wenn es dem Baby inzwischen nicht gut ginge.«
Ich wandte den Blick ab. Ich wusste nicht, warum sie mir das erzählte.
»Hast du von Biswick viel erfahren?«, fragte sie.
»Über Sie?«
»Nein, über sich selbst.«
»Nur dass er aus Irland kommt. Stimmt aber nicht. Blödsinn.«
»Ja, man muss wirklich nicht Einstein sein, um das herauszufinden«, sagte sie.
Ich dachte an Einstein mit seinen wirren Haaren und lächelte. Ich ließ mich neben ihr auf die Knie sinken.
»Sein Vater gefällt mir nicht. Bringt nichts als schlechte Nachrichten in viel zu engen Jeans. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich an Biswicks Zuhause denke.«
Sie hackte und grub jetzt mit großer Intensität und für mehrere Minuten sprach keine von uns ein Wort. So war es mir am liebsten. Doch dann fuhr sie fort.
»Wir beide müssen uns um Biswick kümmern. Er braucht uns mehr, als er je begreifen wird.«
»Ich habe keine Zeit«, sagte ich. »Keine Zeit. Kann mich nicht um ihn kümmern.«
»Aber natürlich kannst du das, Schätzchen«, entgegnete sie, indem sie mit der kleinen Schaufel auf mich deutete. »Du bist stärker, als du glaubst. Ich habe dich genau beobachtet und ich kenne mich mit solchen Dingen aus.«
»Sie kennen mich nicht«, widersprach ich. »Niemand tut das.«
»Oh doch, das tue ich. Ich weiß, dass du das richtige Händchen für so was hast. Ich sehe es in deinen Augen.«
»Gezeichnet. Grandma sagt, dass ich schon bei meiner Geburt gezeichnet gewesen bin«, erzählte ich ihr mit gequältem Lächeln. »Außerordentlich. Verwunderlich.«
»Diese bösartige alte Frau hat in einem Punkt recht, Schätzchen. Du bist etwas Besonderes, das darfst du niemals vergessen.«
Ich hasse es, wenn jemand sagt, dass ich etwas Besonderes bin. Was soll das auch schon heißen? Ich habe doch ebenso
rotes Blut wie alle andern. »Blut, Zinnober«, war alles, was ich über die Lippen brachte.
»Ich habe auch rotes Blut, Kleines, aber deswegen bin ich noch lange nicht so wie du«, erwiderte sie, indem sie den Hut abnahm und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Sie hob meinen Kopf und blickte mich mit ihren funkelnden Augen an. »Gott gibt uns allen dasselbe Blut, aber auch verschiedene Begabungen mit auf den Weg. Deine hat er dir aus einem bestimmten Grund mitgegeben, daran kannst du nichts ändern. Meine Mama hatte auch eine besondere Gabe«, fuhr Veraleen fort. »Und auch sie konnte nichts dagegen tun. Während sie das Geschirr abwusch, bildete sie sich manchmal ein, dass irgendjemand durch unseren Garten spazierte. Sie sah diese Person so deutlich vor sich wie den helllichten Tag. Dabei wohnten wir so ziemlich am Ende der Welt. Peabo, unser Hütehund, saß stets unter dem Pekannussbaum und sah sie auch. Am nächsten Tag ist die betreffende Person dann immer gestorben. Mama ließ mich den Abwasch übernehmen und versuchte, den armen Peabo im Haus zu halten. Hunde sind nur ungern drinnen. Aber das hat auch niemanden vom Sterben abgehalten, Merilee. Dafür hat Gott schon gesorgt.«
»Ich glaube nicht an Gott. Das sind alles Märchen.« Ich begann, mich von ihr zu entfernen. »Alles Märchen.«
»Sie nennen dich hier Drachenmädchen, nicht wahr?«, rief sie hinter mir her.
Ich blieb stehen und schaute sie an.
»Warum Drachen, Kleines, wenn du doch an sonst nichts glaubst?«
Ich warf einen Blick durchs Fenster und sah, wie Biswick durch Veraleens Wohnzimmer tollte. In jeder Hand hielt er einen Keks, ein weiterer hing ihm halb aus dem Mund.
Weitere Kostenlose Bücher