Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
hättet, würdet ihr es mir nicht sagen, stimmt’s?«
»Stimmt!«, krähte Biswick.
»Hör mal zu, du Rotzlöffel, ich kann dich drankriegen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Entweihung von heiligem Boden und Beleidigung eines Ordnungshüters!« Sheriff Bupp konnte ja nicht ahnen, wer da nur wenige Meter von ihm entfernt auf »heiligem Boden« lag und seinen Rausch ausschlief.
»Am besten du scherst dich jetzt nach Hause zu deinem nichtsnutzigen Vater.« Sheriff Bupp setzte sich seinen Hut schief auf den Kopf und schlenderte gemächlich zu seinem Auto zurück. Dann knallte er die Tür zu und fuhr davon.
»Als Junge hat er immer ins Bett gemacht«, murmelte ich. »Tut mir leid«, sagte ich dann zu Biswick. »Er hatte kein Recht, das zu sagen. Überhaupt kein Recht. Der ist echt fieser und bekloppter, als die Polizei erlaubt.«
Biswick bekam einen Lachanfall. »Du bist so lustig, Merilee Außerordentlich. Ist schon okay. Man hat schon ganz andere Dinge zu mir gesagt.«
»Was denn?«
»Indianer Joe oder Biskuit oder Pfannkuchen oder …«
»Bist du indianischer Abstammung?«
»Nein!«, antwortete er seltsam heftig. »Sie nennen mich nur so wegen meiner dunklen Haut. Ich hab doch schon gesagt, dass wir Iren sind, dunkelhäutige Iren, wie mein Vater immer zu den neugierigen Leuten sagt. Und du musst es mir glauben, weil du mein einziger Freund auf der ganzen Welt bist.« Seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Tut mir leid, Bis«, sagte ich. Es war das erste Mal, dass ich ihn so nannte. »Tut mir echt leid.«
Er machte einen Schmollmund.
»Liest dein Daddy nicht heute Abend in der Buchhandlung meiner Mutter?«, fragte ich. Wir blickten beide zu seinem Vater hinüber.
»Tut er das?«, fragte er.
»Yeah«, sagte ich. »Das stand sogar schon in der Zeitung. Da werden jede Menge Leute kommen.« Ich fragte mich, was wir jetzt mit ihm anfangen sollten. Wir konnten ihn ja nicht einfach von hier fortziehen. Und wie sollten wir ihn auch nach Hause verfrachten, ohne dass jemand Notiz davon nahm?
»Keine Sorge. Daddy wird dort erscheinen. Ich verspreche es.« Doch ich sah Biswick an, dass er selbst nicht so richtig daran glaubte.
»Ich weiß nicht...«, sagte ich. Biswicks Daddy sah aus, als würde er bis nächstes Jahr durchschlafen.
»Doch, ganz bestimmt! Er ist bis jetzt immer rechtzeitig aufgewacht.« Ein sanfter Wind strich über den Friedhof und ließ die Bierflaschen leise aneinanderschlagen. Es klang wie ein Windspiel. Die Haare von Mr O’Connor begannen, sich zu bewegen, doch er rührte sich nicht vom Fleck.
»Sollten wir ihn nicht aufwecken?«, fragte ich. »Um ganz sicherzugehen?«
Biswick dachte mit gespitzten Lippen darüber nach. »Hast du ein bisschen Wasser?«, fragte er.
»Ja, in meiner Flasche. Was willst du damit?«
»Kannst du sie holen?«
Ich ging zu meinem Fahrrad, nahm die Wasserflasche aus meinem Korb und brachte sie ihm.
»Mach dich bereit, blitzschnell von hier zu verschwinden!«, sagte Biswick.
Ich schaute ihn an. »Lächerlich.«
»Keine Angst. Ich weiß, was ich tue.« Er signalisierte mit einer Hand, dass ich zu meinem Fahrrad gehen sollte, und richtete mit der anderen Hand die Flasche auf seinen Vater, als wäre sie eine Waffe.
Ich hatte ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, der Fahrer unseres dreirädrigen Fluchtfahrzeugs zu sein. Dann hörte ich ein ohrenbetäubendes Gebrüll, wie das eines wütenden
Löwen, und im nächsten Moment stürmte Biswick durch das Eingangstor. Er sprang auf und in rasender Geschwindigkeit jagten wir davon.
Elftes Kapitel
V or vielen Jahren, es war Vollmond, kam ein Drache mit glühendem Atem den Berg hinunter. Aus seinem riesigen Maul schossen lodernde Flammen in den Himmel - wie bei einem Feuerwerk aus alter Zeit. Die Menschen aus dem nahe gelegenen Dorf drängten sich um ihn zusammen, obwohl sie wussten, wie groß die Gefahr war. Doch sie konnten sich nicht zurückhalten. Eines Tages kam ein Kind dem Feuer zu nah und wurde getötet. Der Vater betete zu Gott, es nie mehr Vollmond werden zu lassen, und seine Bitte wurde erhört. Der Monddrache kam nie wieder aus seiner Höhle. Doch mit dem nächsten Zyklus, als es Vollmond hätte werden sollen, veränderten sich die Gezeiten, worauf das Dorf von einer riesigen Welle überflutet wurde.
Die Leute strömen immer herbei, wenn ein Spektakel geboten wird. Mamas Buchladen war an diesem Abend jedenfalls brechend voll. Voll von kleinstädtischen windzerzausten Frisuren, weil sich
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