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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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hinauf und hinunter, ehe ich ihn entdeckte. Im Grunde entdeckte er mich. Ich fuhr gerade an Putt’s Chicken Hutt vorbei, als er meinen Namen rief. Ich schaute mich um.
    »Merilee!«, rief er erneut. »Ich bin hier oben.«
    Ich hob in dem Moment meinen Kopf, als ein Auge des Huhns aufleuchtete und eine Gestalt erhellte, die auf dem Rücken des Huhns saß. Es war Gideon, der etwas auf seinem Schoß hatte. Er signalisierte mir, dass ich um das Gebäude herumgehen sollte. Ich tat es und erblickte eine Leiter, die an der Rückseite des Hauses lehnte. Vorsichtig kletterte ich hinauf.
    »Da bist du ja endlich!«, sagte er mit herausforderndem Grinsen. »Du hast mich gesucht.«
    »Bild dir bloß nichts ein«, sagte ich kühl. »Ich bin nicht gekommen, um dir meine unsterbliche Liebe zu gestehen.« Als ich mich neben ihn auf den Rücken des Huhns setzte, öffnete und schloss sich sein Schnabel dreimal. Ich wäre fast heruntergefallen, aber Gideon hielt mich fest. Es war gerade genug Platz für uns beide. Ich rückte ein Stück zur Seite und befand mich nun direkt vor dem nach oben gebogenen Schwanz.
    »Das glaube ich aber doch«, sagte er lachend. Er wusste, dass es nicht stimmte. »Warum bist du dann hier?«
    »Warum bist du hier?«, fragte ich zurück.
    »Ich mache Fotos.«
    »Das ist schön«, sagte ich. Das Auge des Huhns leuchtete
erneut auf und tauchte die Straße zu unseren Füßen in ein unwirkliches Licht. Von hier oben konnte ich Mamas Buchladen sehen. Als es wieder dunkel war, blickten wir beide nach oben. Über uns wölbte sich der Sternenhimmel wie ein funkelnder Schirm.
    Er seufzte. »Grandma meinte, dass sie bald in der Lage wäre, wieder zu ihrer Kirche zurückzukehren«, sagte er, während er an seiner Kamera herumfummelte. »Dann haben ihre nächtlichen Streifzüge ein Ende.« Vielleicht hatte Grandma Birdy sie wirklich damals bei den Mülltonnen gesehen. Elsa. Gideons Großmutter hieß Elsa. Das hatte ich bis heute nicht gewusst.
    »Das ist gut«, war alles, was mir dazu einfiel. Der Schnabel des Huhns öffnete und schloss sich wieder drei Mal, was uns anfangs einen kleinen Schrecken einjagte. Wir lachten.
    »Hast du schon mal die Irrlichter gesehen? Ich meine, so ganz für dich allein, nicht am Aussichtspunkt«, fragte ich.
    »Ja.«
    »Wirklich?«
    »Ja, es sieht unbeschreiblich aus, Merilee. Das ist reinste Magie.«
    Plötzlich schoss eine Sternschnuppe über den Himmel.
    »So ähnlich?«
    Ich schaute zu ihm hin und bemerkte, dass er mich beobachtete. Die fröhlichen Schmetterlinge kehrten in meinen Bauch zurück.
    Ich streckte meine Arme nach oben und spürte dabei das Foto unter meinem T-Shirt. Das war Magie.
    »Was hast du mit den Pennys angestellt?«, fragte ich. Scooter war am nächsten Tag nicht zur Schule gekommen und Romey und Cairo hatten eine Woche lang Handschuhe getragen. Niemand von ihnen hat sich je darüber beschwert, weil sie wussten, dass sie dann auch hätten zugeben müssen, was sie mir angetan hatten.

    Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Grandma hat eine alte Flasche mit Daddys Reinigungsmittel gefunden und sich damit die Hände eingerieben. Sie meinte, das wäre gut gegen Hautschuppen. Doch irgendwas muss im Laufe der Zeit mit der Flüssigkeit passiert sein. Das war aber auch wirklich der einzige Dienst, den mir mein Vater in all den Jahren erwiesen hat. Veraleen hat mir übrigens eine Salbe für Grandma mitgegeben, daraufhin ist der Ausschlag sofort verschwunden.«
    »Das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte ich. »Trotzdem danke.« Ich glaube, es war wirklich das allererste Mal in meinem Leben, dass ich mich bei jemandem bedankt habe.
    Gideon lächelte.
    Ich kletterte die Leiter hinunter und schob mein Fahrrad zur Vorderseite des Hauses, bis ich direkt unter ihm stand. Dann warf ich ihm eine Kusshand zu. Die leuchtenden Augen des Huhns öffneten sich, und ich sah, wie er sich eine Hand an die Wange hielt.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    I ch habe in letzter Zeit viel an Grandma Ruth gedacht. Wie würde unser Leben aussehen, wenn es sie noch gäbe? Wenn sie bei uns wäre statt Grandma Birdy. Mama spricht nur selten über ihr früheres Leben. Ich wünschte, sie täte es öfter. Sie hat mir einmal erzählt, dass Grandma Ruth zwar prinzipiell gegen jede Lüge gewesen sei, doch andererseits meinte, kleine Flunkereien würden allen das Leben erleichtern.
    Ich frage mich, ob sie akzeptiert hätte, dass ich Biswick vor ein paar Tagen nicht so ganz die Wahrheit gesagt

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