Meine gute alte Zeit - Teil I
viermal am Tag heißes Wasser in die Schlafzi m mer, machte im Winter in den Schlafzimmern Feuer und besserte nachmittags die Bett- und Tischwäsche aus. Das Stubenmädchen reinigte unvorstellbare Mengen von Si l bergeschirr und wusch die Gläser mit liebender Sorge in einer Schüssel aus Papierm a schee; überdies bediente sie bei Tisch.
Trotz dieser schweren Pflichten waren die Dienstboten, glaube ich, mit ihrem aktiven Leben zufrieden und glüc k lich, wohl, weil sie wussten, dass sie geschätzt wurden – als Expe r ten, die die Arbeit von Experten verrichteten. Als solche genossen sie Prestige, auf Ladenang e stellte und ihresgleichen blickten sie mit Verachtung herab.
Wäre ich heute ein Kind, würde mich, glaube ich, der Mangel an Dienstboten am meisten stören. Für ein Kind waren sie der farbigste Teil des Alltags. Kindermädchen speisten es mit Plattitüden ab, die Dienstb o ten lieferten dramatische Episoden, Unterhaltung und jede Art von nicht weiter spezifiziertem, aber amüsantem Wissen. Sie waren alles andere als Sklaven, im Gegenteil, häufig w a ren sie viel eher Tyrannen. Sie kannten, wie man damals sagte, ihren Platz, aber damit war nicht U n terwürfigkeit gemeint, sondern Stolz, der Stolz des Professi o nals. Im ersten Dezenn i um dieses Jahrhunderts besaßen die Dienstboten ein ausgedehntes Fachwissen. Stubenmä d chen mussten groß sein, nett aussehen, gute Zeugnisse vorweisen können und die richtige Stimme haben, um »Rheinwein oder Sherry?« zu murmeln.
Ich bezweifle, dass es heute noch so etwas wie einen richt i gen Dienstboten gibt. Vielleicht humpeln noch ein paar Sie b zig- und Achtzigjährige herum, aber sonst kennt man ja nur mehr die Tagesmädchen, die Aufwärterinnen, die Hausgehilfinnen, die Raumpflegerinnen und die cha r manten jungen Frauen, die sich ein bisschen was daz u verdienen wollen – stundenweise, wie es ihnen passt, und so, dass sie ihre Kinder nicht zu vernachlässigen bra u chen. Sie alle sind liebenswerte Amateure, sie erwe i sen sich oft als Freunde, aber nur selten erwecken sie in uns die Bewunderung, die wir unserem Hauspersonal entg e genbrachten.
Dienstboten waren natürlich kein besonderer Luxus – nicht nur die Reichen konnten sich welche leisten; der Unterschied bestand lediglich in der Anzahl. Sie verfü g ten über Butler und Lakaien und Hausmädchen und St u benmädchen und Ka m merzofen und so fort. Wenn man die Wohlstandsleiter hera b stieg, erblickte man früher oder später jenes Wesen, das Barry Pain in seinen reize n den Büchern Eliza und Elizas Gatte so trefflich beschri e ben hat: »Das Mädchen«.
Unsere Dienstboten haben für mich weit mehr Wir k lichkeit als Mu t ters Freundinnen und meine entfernten Verwandten. Ich muss nur die Augen schließen, um Jane zu sehen, wie sie majestätisch, mit gewalt i gem Busen, mächtigen Hüften und einem gestärkten Band, das ihre Taille umschloss, die Küche durchschreitet. Ihre Fettle i bigkeit schien ihr nie irgendwelche Beschwerden zu m a chen, nie schmerzten sie die Füße, die Knie oder die Knöchel, und falls sie erhöhten Blutdruck hatte, wusste sie bestimmt nichts davon. Soweit ich zurückdenken kann, war sie niemals krank. Sie war von olympischer Verfa s sung. Vielleicht hatte sie Gefühle, aber sie zeigte sie nicht. Weder mit Koseworten noch mit Zeichen des U n willens ging sie verschwenderisch um; nur an Tagen, da sie mit der Vorbereitung einer großen Dinnerparty b e schäftigt war, schien eine leise Erregung sie ein wenig aus der Ruhe zu bringen: Eine leichte Röte überzog dann ihre Wangen, sie presste die Lippen zusammen, und eine dünne Falte grub sich in ihre Stirn. Das waren auch die Tage, da ich mit Entschiedenheit aus der K ü che verbannt wurde. »Nein, Miss Agatha, heute habe ich keine Zeit – ich habe eine Menge zu tun. Da hast du eine Hand voll Rosinen, und jetzt geh schön in den Garten und quäl mich nicht länger.« Von Janes Worten wie immer sehr beeindruckt, zog ich sofort ab.
Janes hervorstechendste Eigenschaften waren Ve r schwiegenheit und Zurückhaltung. Wir wussten, dass sie einen Bruder hatte, sonst aber war uns nur wenig über ihre Familie bekannt. Sie sprach nie von ihren Verwan d ten. Sie kam aus Cornwall. Sie nannte sich Mrs Rowe, doch das war nur ein Höflichkeitst i tel. Wie alle guten Bediensteten kannte sie ihren Platz – der gleichbedeutend war mit ihrem B e fehlsbereich. Und sie machte allen, die im Hause arbeit e ten, klar, dass sie das Kommando
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