Meine gute alte Zeit - Teil I
führte.
Jane muss sehr stolz gewesen sein auf die köstlichen Speisen, die sie für uns zubereitete, aber sie zeigte es nicht und sprach nie darüber. Wenn man ihr Komplimente machte, nahm sie diese ohne Zeichen von G e nugtuung entgegen, aber ich glaube doch, dass es ihr Freude mac h te, wenn Vater am Morgen nach einem Dinner in die Küche kam und ihr zu ihrer Kunst grat u lierte.
Ich erinnere mich auch noch an Barker, eines der Hausmä d chen, das mir wieder einen anderen Ausblick auf das Leben eröffnete. Ihr Vater war ein besonders strenggläubiger Plymouthbruder und sie sich ihrer Sün d haftigkeit, wenn sie vom rechten Wege abwich, wohl b e wusst. »Verdammt in alle Ewi g keit werde ich sein, das ist mal sicher«, e r klärte sie mit fast heiterem Sinn. »Ich weiß nicht, was mein Vater s a gen würde, wenn er wüsste, dass ich in einem Gottesdienst der englischen Staatski r che war. Das schlimmste ist, mir hat es gefallen. Die Predigt des Vikars hat mir gefallen und das Singen auch.«
Eines Tages hörte Mutter, wie ein Kind, das zu Besuch gekommen war, geringschätzig zum Stubenmädchen sa g te: »Pah! Du bist ja nur ein Dienstbote!« Prompt stellte sie es zur Rede.
»Ich will nie wieder hören, dass du so zu einem Diens t boten sprichst. Dienstboten müssen mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt werden. Sie verrichten mit viel G e schicklichkeit Arbeiten, die du nicht ohne lange Lehrzeit ausführen könntest. Und denke immer daran, dass sie dir nicht widersprechen dü r fen. Du musst immer höflich sein zu Menschen, deren Stellung es ihnen nicht erlaubt, zu dir unhöflich zu sein. Wenn du u n höflich bist, werden sie dich verachten, und mit Recht, denn dein Betragen ist nicht so, wie man es von einer Dame erwa r tet.«
Dass man »eine kleine Dame« zu sein hatte, wurde e i nem in jenen Tagen unermüdlich eingebläut. Unter and e rem auch mit folgenden kuri o sen Ermahnungen:
»Lass immer einen kleinen Rest auf deinem Teller z u rück!« – »Trink nie mit vollem Mund!« – »Denk daran, dass du einen Brief nicht mit zwei Halfpenny-Marken frankieren darfst, a u ßer es ist eine Rechnung für einen Handwerker!« Und natürlich: »Zieh dir saubere Unterw ä sche an, wenn du auf eine Reise gehst. Es könnte sein, dass du einen Unfall hast.«
Der Nachmittagstee in der Küche hatte oft die Form eines gesellschaftlichen Beisammenseins. Jane hatte u n zählige Freundinnen, und fast jeden Tag kam die eine oder andere zu Besuch. Jane holte Tabletts mit heißen Plätzchen aus dem Ofen. In meinem ganzen Leben habe ich keine solchen Plät z chen mehr bekommen, wie Jane sie produzie r te. Sie waren knusprig und glatt und voller Korinthen und schmeckten himmlisch. Trotz ihrer geistig ein wenig trägen Art gebärdete sich Jane zuweilen als richtiger Zuchtmeister. »Ich bin noch nicht fertig, Flore n ce«, sagte sie, wenn eine ihrer Freundinnen vorzeitig vom Tisch aufstand, und Flore n ce setzte sich wieder und murmelte verlegen: »Tut mir leid, Mrs Rowe.«
Köchinnen in höherem Alter wurden mit »Mrs« ang e redet, und von Stubenmädchen erwartete man, dass sie »passende Namen« hatten, wie zum Beispiel Jane, Mary oder Edith. N a men wie Violet, Muriel, Rosamund usw. galten nicht als passend, und die Dame des Hauses erklä r te rundheraus: »Solange Sie bei uns im Dienst stehen, werden Sie ›Mary‹ heißen.« Stubenmädchen, die ein g e wisses Alter erreicht hatten, wurden mit ihrem Zunamen gerufen.
Reibungen zwischen »Küche« und »Kinderzimmer« w a ren nichts U n gewöhnliches. Aber Nursie, wenngleich sie auf ihren Rechten b e stand, war ein friedliebender Mensch und wurde von den jüngeren Mädchen respektiert und oft auch zurate gezogen.
Ich weiß nicht, wie alt Nursie war, als sie zu uns kam, und was Mu t ter bewog, eine so bejahrte Frau in ihre Dienste zu nehmen, aber sie sagte immer: »Von dem A u genblick an, da Nursie ihre Arbeit begann, brauc h te ich mir keine Sorgen mehr um dich zu machen. Ich wusste, du bist in guter Hand.«
Als die Volkszählung kam, musste Vater Namen und Alter aller Pers o nen, die im Hause wohnten, in eine Liste eintragen.
»Eine peinliche Sache«, meinte er verdrießlich. »Die Diens t boten haben es nicht gern, wenn man sie nach ihrem Alter fragt. Und was mache ich mit Nursie?«
Nursie wurde gerufen. Die Hände vor ihrer schneewe i ßen Schürze gefaltet, stand sie da und richtete ihre san f ten, alten Augen fragend auf Vater.
»Also sehen Sie«, sagte er, nachdem
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