Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Englisch sprach, aber mit hartem deutschem Akzent. »Dann wo l len wir gleich zum Klavier.« Und wir gingen zum Klavier – zum Schulzimmerklavier natürlich, nicht zum gr o ßen Flügel im Salon.
    »Bleib da stehen«, kommandierte Fräulein Uder. Ich blieb links vom Klavier stehen. »Das«, sagte sie und hämmerte so stark auf die Taste, dass ich um das Instr u ment bangte, »das ist die Note C. Verstehst du? Das ist die Note C. Das ist die C-Dur-Skala.« Sie spielte die To n leiter. »Jetzt spielen wir den C-Dur-Akkord, so. Und jetzt wieder die Tonle i ter. Die Noten heißen C, D, E, F, G, A, H, C. Verstehst du?«
    Ich bejahte. Soviel hatte ich nämlich schon vorher g e wusst.
    »Du bleibst da stehen, wo du die Tasten nicht sehen kannst«, wies Fräulein Uder mich an. »Ich spiele jetzt das C und dann eine andere N o te, und du sollst mir sagen, welche es ist.« Sie schlug das C und dann eine andere Taste an. »Was ist das?«
    »E«, antwortete ich.
    »Ganz richtig. Gut. Jetzt versuchen wir es noch einmal.« Wieder hämmerte sie auf das C und dann auf eine zweite Ta s te. »Und das?«
    »A«, schlug ich vor.
    »Ach, das ist ja prima! Gut. Das Kind ist musikalisch. Du hast Gehör, ja. Wir werden famos miteinander au s kommen.«
    Um ehrlich zu sein, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, welche N o ten sie gespielt hatte. Ich hatte einfach geraten. Aber wie auch immer: Da es gut angefangen hatte und beide Seiten guten Willen zeigten, ging es flott weiter. Es dauerte nicht lange, und das Haus hallte von Skalen und A r peggios und schließlich auch von den Klängen des Fröhlichen Landmanns wider. Der Musikunte r richt machte mir große Freude. Sowohl Vater wie auch Mutter spielten Klavier. Mutter spielte Me n delssohns Lieder ohne Worte und ve r schiedene andere Stücke, die sie in ihrer Jugend gelernt hatte. Sie spielte gut, war aber, glaube ich, keine begeisterte Musikliebh a berin. Vater war von Natur aus musik a lisch. Er konnte alles nach Gehör spielen und trug uns wunderschöne amerikanische Lieder, Negrospirit u als und andere Stücke vor. Nach dem Fröhlichen Landmann studie r te Fräulein Uder die Träumerei und einige andere reizende Melodien von Sch u mann mit mir ein. Ich übte fleißig – ein bis zwei Stunden am Tag. Nach Schumann kam Grieg, der mich begeisterte – Erotique und Erstes Frü h lingsrauschen waren meine Lieblingsstücke. Als ich endlich so weit war, dass ich den Mo r gen aus der Peer-Gynt-Suite spielen konnte, war ich außer mir vor Entz ü cken. Wie die meisten Deutschen, war auch Fräulein Uder eine ausgezeichnete Lehrerin. Mit dem Spiel von hübschen Melodien war es leider nicht getan, es gab U n mengen von Czernys Etüden, die ich nicht ganz so eifrig übte. Doch Fräulein Uder ließ nicht mit sich spaßen. »Du musst ein g e sundes Fundament haben«, sagte sie. »Die Liedchen, ja, das sind nette kleine Spielereien, das sind Blumen, die blühen und abfallen, aber du musst Wurzeln h a ben, kräftige Wurzeln und Blätter.«
    Dann gab es auch noch die Tanzstunden, die einmal in der Woche in einem Saal stattfanden, der sich etwas pompös »Athenaeum« nannte und über einer Konditorei lag. Ich muss schon sehr früh in die Tan z stunde gegangen sein – mit fünf oder sechs, glaube ich, denn ich eri n nere mich, dass Nursie noch da war und mich hinbegleitete. Die Kleinsten fingen mit der Polka an, und zwar so, dass sie drei Mal aufstampfen mus s ten: rechts, links, rechts – links, rechts, links. Ziemlich lästig für die Leute, die unten in der Konditorei ihren Tee tranken. Als ich heimkam, brachte Madge mich ein wenig aus der Fa s sung. »So tanzt man keine Polka«, sagte sie. »Man schiebt einen Fuß vor, zieht den anderen nach… so, siehst du?« Ich war ziemlich erstaunt, aber anscheinend erachtete Miss Hickey, die Tanzlehrerin, es als zwec k mäßig, die Schülerinnen zuerst mit dem Rhythmus der Polka und erst dann mit den Schritten vertraut zu machen.
    Miss Hickey war eine wunderbare, wenn auch Angst einfl ö ßende Frau. Sie war groß und stattlich, hatte ihr graues Haar zu einer exquisiten Frisur im Pompadourstil gerafft und trug lange, wallende Kle i der. Mit ihr Walzer zu tanzen – aber das kam natürlich erst viel später – war ein erschreckendes Erlebnis. Sie hatte zwei Assistenti n nen, die ältere zählte achtzehn oder neunzehn Jahre; A i leen, die jüngere, war dreizehnjährig. Aileen war ein liebes Ding, die hart arbeitete, und wir hatten sie alle sehr gern. Helen, die

Weitere Kostenlose Bücher