Meine gute alte Zeit - Teil I
ältere, war ein wenig furchteinfl ö ßend und gab sich überhaupt nur mit wirklich guten Tänzerinnen ab.
Die Tanzstunden begannen mit einem »Expander« g e nan n ten Muskelstrecker zur Kräftigung von Brust und Armen. Damit übte man fleißig während einer halben Stunde. Dann kam die Polka, die von allen g e meinsam getanzt wurde, sobald sie die Schritte gelernt hatten. Die älteren Mädchen tanzten mit den jüngeren. Die Polka war lustig, aber nicht aufregend. Auf die Polka folgte die E r öffnungspolonaise, bei der man in Pa a ren durch die Saalmitte hinaufschritt, an den Wä n den entlang wieder zurückkehrte und anschließend verschiedene Tanzfig u ren bildete. Bei der Polonaise hatte man Partner, die man selbst aufforderte – was wi e derholt zu Eifersüchteleien führte. Natürlich wollten alle Helen oder Aileen als Par t nerinnen haben, aber Miss H i ckey achtete streng darauf, dass keine der Schülerinnen sie monopol i sierte. Nach der Polonaise wurden die Kleineren in einen Nebensaal g e führt, um dort Polka und später Walzerschritte zu üben, oder auch Schritte für ihre Fa n tasietänze, bei denen sie sich besonders ung e schickt anstellten. Die Großen übten ihre Fantasietänze unter der Au f sicht von Miss Hickey im großen Saal. Gelehrt wurden ein französischer Tamburin, ein spanischer Kastagnettentanz oder ein Fäche r tanz.
Und weil gerade vom Fächertanz die Rede ist: Ich e r wähnte einmal g e genüber meiner Tochter Rosalind und ihrer Freundin Susan, sie waren damals achtzehn oder neunzehn, dass ich in meiner Jugend einen F ä chertanz getanzt hatte. Ich wunderte mich über ihr verschmitztes L a chen.
»Aber doch nicht wirklich, Mutter! Einen Fächertanz! Stell dir vor, S u san!«
»Ich dachte immer, ihr Viktorianer hättet es mit der Moral so genau genommen«, sagte Susan.
Es dämmerte uns bald, dass wir unter Fächertanz kaum das Gleiche verstanden!
Schließlich kamen die komplizierten Tanzfiguren des La n ders. Aber man brachte uns auch den schwedischen Bauer n tanz und den so genannten Sir Roger de Coverley bei. Diese be i den waren besonders wichtig; man hätte sich sonst, wenn man zu Partys ging, seiner Ign o ranz schämen müssen.
In Torquay besuchten fast ausschließlich Mädchen die Tanzstunde. In Ealing dagegen kam auch eine beträchtl i che Anzahl von Jungen. Ich war damals etwa neun, sehr schüchtern und durchaus keine sehr gute Tänz e rin. Ein ganz reizender Junge, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich, trat auf mich zu und forderte mich auf, beim La n cier seine Partnerin zu sein. Verwirrt, mit niedergeschl a genem Blick, antwo r tete ich ihm, dass ich keinen Lancier tanzen könne. Es kam mich hart an, ich hatte noch nie einen so attraktiven Jungen gesehen. Er hatte dunkles Haar und l a chende Augen. Als der Lancier begann, setzte ich mich betrübt nieder, aber schon Sekunden später war Mrs Word s worth’ Assistentin zur Stelle. »Nein, nein, Agatha, wir lassen keine Tänze aus.«
»Ich kann keinen Lancier tanzen, Miss.«
»Das wirst du sehr schnell lernen. Jetzt müssen wir dir einen Partner suchen.«
Sie bekam einen sommersprossigen, rotblonden, stup s nasigen, mit P o lypen gesegneten Jungen zu fassen. »So. Das ist William.« Wä h rend des Tanzes traf ich auf den ersten Jungen und seine Partnerin. »Mit mir wol l test du nicht tanzen, und jetzt bist du doch da«, flüsterte er mir zornig zu. »Das war gar nicht nett von dir.« Ich versuchte ihm zu sagen, dass ich nichts dafürkonnte, dass man mich gezwungen hatte – aber beim Lancier hat man keine Zeit, lange Erklärungen abzugeben. Bis zum Ende der Tan z stunde warf er mir immer wieder vo r wurfsvolle Blicke zu. Ich hoffte, wir würden uns nächste Woche wieder bege g nen, aber leider sah ich ihn nie wieder – eine der traur i gen Liebesgeschichten des Lebens!
Der Walzer war der einzige Tanz, der mir in meinem spät e ren Leben nützlich sein sollte, aber ich habe ihn nie gern getanzt. Ich mag den Rhythmus nicht, und ich wu r de immer schrecklich schwindlig, beso n ders wenn ich Miss Hickey zur Partnerin hatte.
Fräulein Uder verschwand aus meinem Leben; ich weiß nicht wie und wann. Vielleicht kehrte sie nach Deutsc h land zurück. Ihren Platz nahm später ein junger Mann, ein gewisser Mr Trotter ein; er war O r ganist an einer der Kirchen und ein eher deprimierender Lehrer. Ich musste mich mit einem ganz neuen Stil befreunden. Ich musste pra k tisch am Boden sitzen und mit den Händen nach
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