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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sekammer vorbereitet war. Aber die liebe Jane war sehr taktvoll. Sie nan n te mich immer Miss Agatha und gab mir das Gefühl, die Fäden der Macht in der Hand zu halten.
    Damals also luden mich die Lucys ein, mit ihnen auf dem Pier Rollschuh zu fahren. Sie brachten mir bei, halbwegs au f recht zu stehen, und ich war begeistert. Sie waren wohl eine der nettesten Familien, die ich je gekannt habe. Blanche, die älteste Tochter, ein außerorden t lich hübsches Mädchen, war ein bisschen älter als meine Schwester und hatte schon vor ihr geheiratet. Reggie, der älteste Sohn, war in der Armee, der Zwei t älteste – etwa so alt wie mein Bruder – daheim, und auch die zwei jü n geren Töchter Marguerite und Muriel – Margie und No o nie für die Familie – waren bereits erwachsen. Zeit bede u tete i h nen nichts.
    Nachdem wir eine gute Weile Rollschuh gelaufen w a ren, sah No o nie auf die Uhr. »Denk doch nur«, sagte sie, »wie die Zeit vergeht. Es ist schon halb zwei.«
    »Ach herrje«, sagte ich. »Ich brauche mindestens zwa n zig Minuten bis nachhause.«
    »Du gehst jetzt besser nicht nachhause, Aggie. Du kommst mit uns und isst mit uns zu Mittag. Wir können ja Ashfield anrufen.«
    Ich ging also mit ihnen, und um halb drei kamen wir an, b e grüßt von dem Hund Sam – »Ein Leib wie ein Fass, Atem wie ein Kanalrohr«, pflegte Noonie ihn zu b e schreiben. Irgendwo fand sich warmgestelltes Essen, und das verzehrten wir jetzt mit großem Appetit. Dann mei n ten sie, es wäre doch schade, jetzt schon heimzugehen, und wir machten es uns in ihrem Schulzimmer gemütlich, spielten Klavier und sangen dazu. Manchmal unterna h men wir Ausflüge zum Moor. Wir verei n barten, uns am Bahnhof zu treffen, um mit einem bestimmten Zug zu fahren. Die Lucys kamen immer zu spät, und wir verpas s ten stets den Zug. Sie verpassten Züge, verpassten Str a ßenbahnen, verpassten alles, aber nichts brachte sie aus der Ruhe. »Was macht das schon?«, sagten sie. »Es kommt b e stimmt noch einer. Wozu sich ärgern?« Es war eine herrliche Atmosphäre.
    Die Höhepunkte meines Lebens waren Madges Bes u che. Sie kamen immer im August. Jimmy leistete ihr ein paar Tage G e sellschaft, musste aber dann ins Geschäft zurück, und Madge blieb bis Ende Se p tember, und mit ihr auch Jack.
    Jack war natürlich für mich ein nie versiegender Quell der Freude. Er war ein goldblonder kleiner Junge mit rosigen Wangen. Er sah zum Fressen aus, und wir nan n ten ihn manchmal tatsächlich »le petit brioche«. Er hatte ein sehr ung e stümes Wesen, und der Begriff »Stille« war ihm fremd. Er war fürchterlich jähzornig und tat regelmäßig, was wir »explodi e ren« nannten. Er wurde ganz rot im Gesicht, dann vi o lett, dann hielt er den Atem an, bis man wirklich glaubte, er würde platzen, und dann brach der Sturm los.
    Er hatte eine ganze Reihe von Kinderfrauen, jede mit ihren Eigenhe i ten. Ich erinnere mich an eine besonders mürrische. Sie war alt und hatte ungepflegte, dichte graue Haare. Sie besaß große Erfahrung und war so ziemlich die einzige, die mit Jack fertigwurde, wenn er das Krieg s beil ausgrub. Eines Tages war er wieder sehr ungezogen gewesen und ohne jeden Grund mit den Worten »du Id i ot, du Idiot, du Id i ot!« auf jeden von uns losgestürzt. Die Kinderfrau stellte ihn schlie ß lich zur Rede. Wenn er nicht damit aufhöre, würde sie ihn bestrafen müssen, warnte sie ihn. »Ich will dir sagen, was ich tun werde«, schrie er. »Wenn ich sterbe und in den Himmel komme, gehe ich sofort zum lieben Gott und sage ihm ›du Idiot, du Idiot, du Idiot!‹« Atemlos hielt er inne, um zu sehen, wie sie auf seine Lästerung reagieren würde. Die Kinderfrau legte ihre Arbeit in den Schoß, sah ihn über ihre Brillengläser hin an und antwo r tete ganz beiläufig: »Und du glaubst wirklich, dass der Al l mächtige davon Notiz nehmen wird, was ein ungezogener kleiner Junge zu ihm sagt?« Jack wusste nichts zu erwidern.
    Die nächste Kinderfrau war ein junges Mädchen n a mens Isabel.
    Aus irgendwelchen Gründen neigte sie dazu, Dinge aus dem Fenster zu werfen. »Verflixte Schere«, murmelte sie plötzlich und schleuderte sie auf den Rasen hinunter. Gelegentlich machte Jack sich erbötig, ihr dabei zu he l fen. »Soll ich es aus dem Fenster werfen, Isabel?«, fragte er und sah sie forschend an. Wie alle Kinder betete auch er meine Mutter an. Schon früh am Morgen kam er in ihr Bett gekrochen, und ich hörte sie durch die Wand meines Zimmers

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