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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wurde puterrot im Gesicht. Oft bat er mich, ihm irgendwelche sentimentalen Lieder vo r zuspielen und vorzusingen. Ich kon n te ganz gut Noten lesen, und so schleppte er mich zum Kl a vier, und ich musste ihm seine Lieblingslieder singen. Er war ein küns t lerisch veranlagter Mensch und malte Landschaften mit Mooren und Sonnenuntergängen. Er war auch ein großer Möbelsammler, und seine Spezialität waren alte Eichenmöbel. Zusammen mit seinem Freund Fletcher Moss machte er auch gute Aufnahmen und veröffentlic h te mehrere Bildbände mit Fotografien berühmter Häuser. Ich wollte, ich wäre ihm g e genüber nicht so schüchtern gewesen, aber ich war ja in e i nem Alter, in dem man ganz besonders gehemmt ist.
    Viel lieber mochte ich Mrs Watts. Sie war ein erfr i schend lebhafter, durch und durch wirklichkeitsnaher Mensch. Nan, die zwei Jahre älter war als ich, gefiel sich in der Rolle eines enfant terrible und hatte besondere Fre u de daran, zu schreien, ungezogen zu sein und hässliche Worte zu gebrauchen. Es schmerzte Mrs Watts, wenn Nan ihre »verflucht!« und »ve r dammt!« abfeuerte. Sie mochte es auch nicht leiden, wenn ihre Tochter auf Vo r haltungen mit »Ach, sei doch nicht so dumm, Mutter!« reagierte. Nie hätte sie sich gedacht, dass eine Toc h ter so zu ihrer Mutter sprechen könnte, aber in der Welt war eine Zeit a n gebrochen, wo man offen und unverblümt miteinander redete. Nun ja, die meisten Mütter müssen so ein Stadium durchmachen, in dem ihre Töchter sie auf diese oder jene Weise in eine harte Schule sch i cken.
    Am zweiten Feiertag besuchten wir immer das Wei h nacht s spiel in Manchester – und es waren ausgezeichnete Wei h nachtsspiele. Auf der Heimfahrt im Zug sangen wir noch ei n mal alle Lieder durch, die wir gehört hatten.
    Das Weihnachtsspiel in Manchester war nicht mein er s tes. Oma ha t te mich schon einmal ins Drury-Lane-Theater geführt. Dan Leno spie l te die Märchenerzählerin. Ich kann mich noch gut an dieses Weihnachtsspiel eri n nern. Ich träumte noch wochenlang von Dan L e no – für mich war er der wunderbarste Mensch, den ich kannte. Auch ein aufregender Zwischenfall ereignete sich an j e nem Abend. In der Hofloge saßen die zwei kleinen Pri n zen. Prinz Eddy, wie das Volk ihn nannte, ließ sein Pr o gramm und sein Opernglas über die Logenbrüstung fa l len. Die Dinge fielen ins Parkett ganz nahe bei unserem Platz, und – welches Entzücken! – es kam nicht ein B e amter des königlichen Haushalts, um die Dinge herau f zuholen, sondern Prinz Eddy persönlich. Er entschuldi g te sich sehr höflich und sagte, er hoffte, er hätte niema n den verletzt.
    Bevor ich an jenem Abend einschlief, schwelgte ich in Fant a sien: Eines Tages würde ich Prinz Eddy heiraten. Vielleicht könnte ich ihn noch vorher vor dem Ertrinken retten… Die dankbare Königin würde ihre königliche Einwilligung geben. Oder vielleicht würde sich ein Unfall ereignen – es bestand die Gefahr, dass er verbluten kön n te, und ich willigte in eine Blu t transfusion ein. Ich würde in den Adelsstand erhoben we r den, und wir würden eine morganatische Ehe schließen. Aber selbst für eine Sech s jährige waren solche Fantasien ein wenig zu fa n tastisch, um von Dauer zu sein.
    Im Alter von vier Jahren dachte sich mein Neffe Jack eine wirklich vorteilhafte königliche Verbindung aus. »Angenommen, Mutti«, sagte er, »du würdest König Ed u ard heiraten. Dann würde ich Mitglied der köni g lichen Familie werden.« Meine Schwester meinte, man müsse an die K ö nigin denken und letztlich auch an Jacks eigenen Vater. Jack fand die L ö sung: »Angenommen, die Königin würde sterben, und ang e nommen, Vati…«, er senkte taktvoll die Stimme – »angeno m men, Vati wäre nicht da, und angenommen, König Eduard würde… würde dich sehen und…«, er brach ab und überließ den Rest unserer Vorstellung. Offe n bar würde sich der König bis über beide Ohren verlieben und Jack im Nu sein Stiefsohn sein.
    »Ich habe während der Predigt im Gebetbuch geblä t tert«, vertraute Jack mir ein Jahr später an. »Ich habe nämlich daran gedacht, dich zu heiraten, wenn ich groß bin, aber da ist so ein Verzeichnis in der Mi t te, und da steht, dass der Herr es mir nicht erlauben wird.« Er seuf z te. Es wäre sehr schmeichelhaft für mich, sagte ich, dass er an mich g e dacht hätte.
    Es ist wirklich erstaunlich, wie konsequent die Me n schen in ihren Einstellungen sind. Seit der Zeit, da er mit einem

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