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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Ki n dermädchen auf die Straße ging, hegte Jack brennendes Int e resse für alles Kirchliche. Wenn man ihn aus den Augen verlor, fand man ihn gewöhnlich in einer Kirche wieder, wo er selbstvergessen zum Altar hinau f starrte. Bekam er farbiges Plastilin zum Spielen, so formte er daraus immer wieder Kruzifixe, Triptychons oder i r gendwelche ekklesiastischen Verzierungen. Römisch-katholische Kirchen faszinierten ihn ganz besonders. Er änderte nie se i nen Sinn und las mehr Kirchengeschichte als sonst jemand. Mit dreißig Jahren trat er in die r ö misch-katholische Kirche ein, ein schwerer Schlag für meinen Schw a ger, der für mich den Inbegriff eines »schwarzen Protestanten« darstellte. »Ich bin nicht vo r eingenommen«, sagte er mit seiner sanften Stimme, »ich bin wir k lich nicht voreingenommen. Ich muss nur immer wieder feststellen, dass die Katholiken allesamt schreckl i che Lügner sind. Das ist kein Vo r urteil, es ist einfach so.«
    Auch Oma war eine typische schwarze Protestantin und g e noss so richtig die Verruchtheiten der Baptisten. »Alle diese schönen Mädchen, die in den Klöstern verschwi n den«, sagte sie mit geheimnisu m witterter Stimme, »und man sieht sie nie wieder!« Ich könnte schw ö ren, sie war überzeugt, dass alle Priester ihre Mätressen aus Spezia l klöstern für schöne Mä d chen bezogen.
    Die Watts waren Nonkonformisten, Methodisten, gla u be ich, was dazu geführt haben mag, dass sie alle Kathol i ken als Nachkommen der »Gr o ßen Hure von Babylon« ansahen. Wo Jack seine Passion für die römisch-katholische Kirche her hatte, kann ich mir nicht vorste l len. Er scheint sie von niemandem in seiner Familie g e erbt zu haben, aber sie war immer vorhanden, schon in seinen Kinderjahren. Einer seiner Freu n de sagte einmal zu ihm: »Ich weiß wirklich nicht, Jack, warum du nicht ein fröhlicher Ketzer sein kannst wie wir alle. Es wü r de so viel friedlicher sein.«
    Friedlich zu sein, das war wohl das Letzte, was Jack sich je vorstellen konnte. Wie ein Kindermädchen einmal sa g te, nachdem sie ihn eine ganze Weile hatte suchen mü s sen: »Was Jack veranlasst, in die Kirchen zu laufen, das werde ich nie verst e hen.« Meine persönliche Meinung ist, er muss die Reinkarnation eines mittelalterlichen Ki r chenvaters gewesen sein. Als er älter wurde, bekam er ein Gesicht wie das eines Kirchenv a ters – nicht das eines Mönches und auch nicht das eines Schwä r mers – das eines in allen ekklesiastischen Belangen versierten Ma n nes, der auf dem Konzil von Trient eine gute Figur g e macht haben würde – und der jederzeit die genaue Zahl von Engeln nennen konnte, die auf dem Kopf einer Stecknadel Platz fanden.
     
     
    4
     
    Das Baden war eine der Freuden meines Lebens und ist es fast bis zum heutigen Tag geblieben; wären da nicht die Schwierigkeiten, mit welchen eine Rheumatikerin zu kämpfen hat, wenn sie in die Wanne steigt und, noch schlimmer, wieder herausklettert, ich würde es noch g e nauso g e nießen.
    Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, vollzog sich eine bedeutende g e sellschaftliche Wende. Wie ich es noch in Erinnerung habe, badeten He r ren und Damen streng getrennt. Es gab einen Badeplatz speziell für Damen, einen kleinen steinigen Strand links von den Bath S a loons. Auf dem steil abfallenden Strand befanden sich acht Bademaschinen, die von einem mürrischen und jä h zornigen alten Mann betreut wu r den, dessen Aufgabe es war, die Maschinen ohne Unterlass ins Wasser hinunte r zula s sen und wieder herauszuziehen. Man betrat seine Bademaschine – ein mit lustigen Farben bemaltes Gehä u se –, sah darauf, dass beide Türen gut verriegelt waren, und begann sich zu entkleiden – mit einiger Vo r sicht, weil sich der alte Mann jeden Augenblick entschließen konnte, die Bademasch i ne mit seiner Insassin ins Wasser zu lassen. Nun folgte ein wildes Hin- und Herschwenken, und die Bademaschine polte r te langsam über die losen Steine zum Wasser hinunter.
    Sie blieb ebenso plötzlich stehen, wie sie sich in Bew e gung gesetzt ha t te. Nun kleidete man sich weiter aus und zog sein Badekostüm an. Dies war ein aus dunkelblauer oder schwarzer Alpakawolle gefertigtes, höchst unästhet i sches Kleidungsstück mit einer Menge von Röcken, R ü schen und Falbeln, das bis weit unter die Knie und über die Ellbogen reichte. Hatte man das Ding an, riegelte man die Tür auf der Wasserseite auf. Wenn der Alte es gut mit einem gemeint hatte, lag die oberste Stufe

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