Meine letzte Stunde
haben“, schreibt Robert Musil in seinem viel zitierten und selten gelesenen Mammutwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“. Eine seiner wesentlichsten Erkenntnisse lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Leben heißt auswählen.
Zeit kann man nicht speichern, nicht vermehren, nicht tauschen und auch nicht kaufen. Diese Tatsachen begründen auch die paradoxe Entdeckung des US-Wissenschaftlers Daniel Hamermesh: Menschen leiden umso mehr unter knapper Zeit, je reicher sie sind. [4] Eigentlich würde man ja genau das Gegenteil vermuten.
Wenn wir Assistentinnen, Haushaltshilfen oder gar einen Chauffeur hätten, würde unser Leben doch einfacher? Nie mehr anstellen, auf Handwerker warten oder in letzter Sekunde zum Supermarkt hetzen. Der naheliegende Grund, warum Reiche und Mächtige mehr unter Zeitdruck leiden als Normalbürger, könnte darin liegen, dass diese mehr und härter arbeiten. Doch Hamermesh entlarvt diese scheinbar plausible Erklärung. Die Wohlhabenden klagen nämlich auch dann unter Zeitmangel, wenn sie gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Kennen wir nicht die mehr als gut versorgte Ehefrau mit Kindermädchen, die trotzdem ständig über ihren Stress klagt, oder den finanziell mit dem „goldenen Handschlag“ verabschiedeten Exmanager, dem der Tag noch immer zu kurz ist?
Die Lösung dieses Widerspruchs liege ganz einfach darin, dass die Reichen viel mehr Möglichkeiten haben, ihre Wünsche zu verwirklichen. Nur wenige Bürger müssen sich den Kopf darüber zerbrechen, ob sie lieber die Geburtstagseinladung eines Freundes in der Toskana oder die Opernpremiere in New York wahrnehmen wollen. Mit einem Mächtigen wollen sich viel mehr Menschen treffen als mit einem Arbeitslosen. Umgekehrt wird gerade dem Arbeitslosen, der scheinbar so reich an Zeit ist, diese zur Last, weil er sich der ihm gewohnten materiellen Möglichkeiten beraubt fühlt, noch schlimmer aber mit seinem Job oft auch seinen Selbstwert verloren hat. Doch hier sollen keine Neidgefühle geschürt werden, denn ein Blick auf die Entwicklung der Lebenseinkommen seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt sehr klar, dass wir alle reicher geworden sind, zumindest statistisch gesehen. Und daher haben wir alle mehr Möglichkeiten – und weniger Zeit. [5]
So haben die Bauersfrauen in den 1920er Jahren ohne Elektrizität und Maschinen deutlich weniger Zeit für die Hausarbeit verwendet als die mit Waschmaschine, Elektroherd und einer Armee von Haushaltsgeräten ausgestattete Hightech-Hausfrau des 21. Jahrhunderts. Warum? Die Ansprüche an Sauberkeit haben sich so gewaltig gesteigert, dass sie sich nicht mehr mit dem wöchentlichen Waschtag erfüllen lassen. Und in der Toilette killen wir jede einzelne Bakterie, von deren Existenz wir früher nicht einmal wussten. Denken wir an den Zeitaufwand, um beim Kauf eines Mobiltelefons das beste Gerät mit dem schicksten Design beim günstigsten Netzbetreiber zum billigsten Preis zu optimieren, anschließend die Bedienungsanleitungen zu lernen, das Zubehör auszuwählen, uns mit den zwangsläufigen Reparaturen herumzuschlagen, dann kommen wir schnell zu dem Schluss: Zeitsparende Maschinen und Techniken fressen unsere Zeit.
All das soll keine Verdammung unseres modernen Lebensstils sein, sondern zu der einfachen Erkenntnis zurückführen: Unser Zeitdruck entsteht nicht durch den Mangel an Zeit, sondern weil wir nicht bereit sind, auf etwas zu verzichten. Und so wird aus der Summe jedes einzelnen gestressten Tages in der letzten Stunde ein gehetztes Leben, in dem wir zwar immer beschäftigt waren, aber nie Zeit hatten. Unsere Gesellschaft ist großartig darin, ständig neue Bedürfnisse zu wecken – und die meisten von uns ganz schlecht darin, unsere eigenen noch zu spüren.
Wie man mit drei Tassen Tee die Welt verändert
In seinem Buch „Der Traum vom Frieden: Mein Schulprojekt für Pakistans Kinder“ schildert der amerikanische Bergsteiger Greg Mortenson die bewegende Geschichte, wie er nach einem gescheiterten Versuch, den K2 zu besteigen, durch Zufall in einem entlegenen Dorf in Pakistan landete und den Bewohnern versprach, zurückzukehren, um eine Schule für die Kinder zu bauen. In einer beispielhaften Kraftanstrengung sammelte er Spendengelder in seiner Heimat, den USA, kaufte damit Baumaterial, brachte dieses nach Pakistan und hoffte, damit sein Versprechen erfüllt zu haben. Als er wiederkehrte, um das erfolgreich abgeschlossene Projekt mit einem Foto für seinen Sponsor zu dokumentieren, musste er entsetzt
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