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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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irrationale Furcht, dass die Lehrerin, die die Klasse fragt, wer die Hauptrolle spielen will, uns, nachdem wir aufgezeigt haben, einfach sagt: Du nicht!
    Die zweite Angst ist viel absurder – es ist die Angst vor dem Erfolg. Denn wenn wir tatsächlich die Hauptrolle, den Traumjob, den angehimmelten Partner, den großen Auftrag bekommen, also das, wonach wir uns so sehnen, dann besteht natürlich die Gefahr, dass die anderen herausfinden, dass wir gar nicht so großartig sind, wie wir glauben. Erfolg produziert Erwartungshaltungen an uns, denen wir uns vielleicht gar nicht stellen wollen. Erfolg ändert das Verhältnis zu unseren Freunden, unserem Partner und der Gemeinschaft, in der wir leben. Die unbewusste Angst vor der Bewertung durch andere und vor allem durch uns selbst führt dazu, dass wir Chancen ungenutzt an uns vorbeiziehen lassen. Das Leben ruft laut und deutlich unseren Namen, und wir tun so, als ob gar nicht wir gemeint wären.
    In der Schule gibt es das wissenschaftlich bewiesene Phänomen der „hochbegabten Versager“. Hochbegabte Kinder erkennen schon sehr früh, dass sie sich durch ihre schnelle Auffassungsgabe und durch die für ihr Alter ungewöhnlichen Fragen, die sie stellen, sozial von den anderen isolieren. Da es für Kinder nichts Schlimmeres gibt, als von der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden, reduzieren sie systematisch ihre Leistungen oft bis zum Durchfallen, nur um nicht ausgeschlossen zu werden. Man muss gar nicht hochbegabt sein, es reicht manchmal, wenn man einmal etwas Besonderes leistet, und schon richten sich die kritischen Blicke der vermeintlichen Freunde auf einen. Und genau vor diesen Blicken fürchten sich viele. Seine Lebensträume zu verwirklichen bedeutet, immer eine Zeit der Einsamkeit ertragen und mit dem Widerstand der engsten Umgebung leben zu können.
    Um die Menschen für uns zu gewinnen, die uns wirklich wichtig sind, um die berufliche Aufgabe zu bekommen, zu der wir uns berufen fühlen, um die Resonanz für unsere Ideen auszulösen, die sie verdienen, bedarf es genau dieses Mutes, unsere Wahl zu treffen, auch wenn alle anderen dagegen sind. Und wann immer wir den Weg wählen, vor dem wir am meisten Angst haben, gehen wir einen Schritt weiter in unserer Entwicklung. Es ist ein Weg der Unsicherheit, der unklaren Sichtverhältnisse, der mit mehr Ablehnungen gepflastert sein kann, als wir glauben, ertragen zu können. Niemand kann uns die Angst abnehmen, dass wir am Ende dieses Weges erkennen müssen, ihn scheinbar umsonst gegangen zu sein. Manchmal erwartet uns etwas ganz anderes, als wir erhofft haben. Nicht der Mangel an Gelegenheiten ist der Hauptgrund, warum so viele Lebensträume einen stillen, fast unbemerkten Tod erleiden, sondern das Übermaß an guten Gründen, warum es nie der richtige Zeitpunkt ist, dem Ruf, es einmal zu wagen, nachzugeben.
    Warum ist es so schwer, unsere Komfortzonen zu verlassen?
    Jede Veränderung fällt uns deshalb so schwer, weil wir das Risiko scheuen, aus dem Kreis unserer Gewohnheiten auszubrechen. Im Lauf unseres Lebens erreichen wir immer Plateaus, auf denen wir uns sehr wohl fühlen und uns auch ausrasten können. Doch wenn wir dort zu lange verharren, besteht die Gefahr, dass wir bequem und ambitionslos werden. Daher brauchen wir einen Anstoß von außen, der uns von unserem bequemen Plateau aufschreckt und uns zwingt, die Mauer unserer Gewohnheiten zu durchbrechen. Das kann eine Kündigung, eine Krankheit, eine Scheidung, ein Verlust, aber auch ein spannendes Jobangebot sein. Plötzlich kommt wieder Bewegung in unser Leben, die wohl errichtete Ordnung und Routine geraten durcheinander.
    Es gibt Menschen, die über keinerlei Praxis verfügen, um mit wirklichen Umbrüchen in ihrem Leben umzugehen, und sie bewegen sich daher immer nur auf den gut gesicherten „japanischen Touristenpfaden“. Sie tauschen einen sicheren, aber langweiligen Job nur gegen einen noch sichereren ein, sie heiraten nach einer Scheidung wieder genau den gleichen Typus von Mann oder Frau. Dahinter steht vor allem das Grundbedürfnis des Menschen nach Sicherheit. Gibt man diesem jedoch zu viel Raum, dann unterdrückt es unser ebenso wichtiges Bedürfnis nach Weiterentwicklung.
    Oft sind es auch unsere bestehenden Beziehungen, die uns davon abhalten wollen, neue Wege zu gehen. Die Eltern, die ihre Kinder zu „vernünftigen“ Studien oder „sicheren“ Jobs zwingen wollen oder – noch schlimmer – diese von klein auf ständig abwerten: „Du bist

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