Meine letzte Stunde
hoffen, was wir träumen. Genau deshalb macht uns die Liebe auch so verletzlich. Wir fürchten wieder dort verletzt zu werden, wo uns schon einmal jemand sehr wehgetan hat, und gleichzeitig sehnen wir uns nach Liebe. Nur ein verletzbares Herz kann ein liebendes sein. [5] Liebe ohne Risiko kann es nicht geben, genauso wenig wie es Leben ohne Risiko gibt.
Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.
Albert Schweitzer
Liebe muss erreichbar sein
„Glück ist überall da, wo Menschen starke Gefühle haben, diese nicht vergewaltigen und vertreiben, sondern pflegen und genießen. Schönheit beglückt nicht den, der sie besitzt, sondern den, der sie lieben und anbeten kann. Es gibt scheinbar viele Gefühle, aber im Grunde nur eines: Die Liebe. Glück ist Liebe und nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich. Jede Bewegung unserer Seele, in der sie sich selbst spürt, ist Liebe. Glücklich ist der, der zu lieben vermag, nicht nur andere, auch sich selbst. Es ist aber wichtig, zwischen Liebe und Begehren zu unterscheiden. Liebe will nicht haben oder besitzen, sie will nur lieben. Man könnte sagen: Liebe ist weise gewordene Begierde.“ [6]
So wunderschön diese Beschreibung von Hermann Hesse auch sein mag, so oft wir dieser reinen Form auch in Phasen der Verliebtheit nahe gekommen sein mögen, sie legt uns die Latte unserer Erwartungen so hoch, dass wir sie in der Realität eines langen Lebens nicht immer meistern können. Ja, es besteht sogar die Gefahr, dass wir nach einigen Fehlversuchen überhaupt aufgeben und im schlimmsten aller Fälle gar nicht mehr den Anlauf wagen. Am ehesten ist die selbstlose Liebe wahrscheinlich am Urquell der Liebe, nämlich der Liebe der Eltern zu den Kindern, zu finden. Den idealen Liebenden, der selbst nichts für sich will, alles dankbar annimmt, was gerade da ist, und immer nur gibt, ohne zu erwarten, der uns so angepriesen wird, gibt es zumindest in meinem Freundeskreis nicht. Unter meinen durchaus sorgsam ausgewählten Freunden hält sich der Anteil an „weise Begehrenden“ oder selbstlos Liebenden in engen Grenzen, eigentlich fällt mir keiner ein. Dafür gibt es reale Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Lust- und Unlustgefühlen und mit sehr klaren Erwartungen an ihren Partner. Wenn diese dauerhaft in einer Beziehung nicht erfüllt werden, trennt man sich. Und die meisten leben eher eine Zeit lang allein, als Partnerschaften einzugehen, wo schon am Anfang klar ist, dass die Unlustgefühle bald die Lustgefühle überwiegen werden.
Gerade beim Thema Liebe, dem wichtigsten, sollte der Blick auf das eigene Leben nie gnadenlos sein. Wenn wir unsere bestehenden und ehemaligen Partnerschaften, die wir selbst mit dem Prädikat „Liebe“ versehen, betrachten, sollten wir diese nicht am Maßstab von Hollywoodfilmen oder von PR-Agenturen retuschierten Liebesgeschichten in Hochglanzmagazinen bewerten, das wird fast immer frustrierend ausgehen. Da sind die Beziehungen und Ehen unserer Freunde ein viel ehrlicherer Vergleich. Gerade weil die Liebe etwas so Himmlisches sein kann, sollten wir sie in unserem eigenen Leben nach den irdischen Möglichkeiten messen. Liebe ist vor allem zutiefst menschlich. „Tatsächlich suchen wir in der Liebe Nähe und Distanz, intuitives Verständnis und Rückzugsräume, Sanftheit und Härte, Macht und Ohnmacht, Heilige und Hure, Großwildjäger und Familienvater. Und manchmal suchen wir nicht das eine nach dem anderen, sondern alles durcheinander, schwer zu entwirren, gleichzeitig und irgendwie doch nicht gleichzeitig.“ [7] Die Herausforderung einer Liebesbeziehung besteht nicht darin, die eigenen Interessen für den anderen zu opfern, sondern die Spannung zwischen dem Eigeninteresse und der Selbstlosigkeit, die Liebe verlangt, aushalten zu lernen – darin liegt auf Dauer auch die Spannung. [8]
Die meisten Singles geben „Meine Ansprüche sind zu hoch“ als Hauptgrund für ihr Alleinsein an. Es ist durchaus berechtigt, bei der Wahl seiner Lebenspartner sehr genau zu sein, um nicht in der Katastrophe oder mindestens so schlimm in der Leere zu landen. Wir haben keinen Einfluss darauf, wen wir begehrenswert finden. Die Strategie, sich jemanden einen Abend lang „schön zu trinken“, führt am Morgen im besten Fall nur zu einem schlechten Gefühl im Magen ohne dauerhafte Folgen. Ob wir uns in jemanden verlieben, können wir schon ein bisschen besser beeinflussen. Es ist gar
Weitere Kostenlose Bücher