Meine letzte Stunde
nicht so einfach, der Falle, die Ansprüche an den anderen ständig hochzuschrauben und dann über die reale Erfahrung der Liebe immer mehr enttäuscht zu sein, zu entgehen. Aber „Meine Ansprüche waren zu hoch“ wird keine gute Antwort auf die Frage nach der Liebe in unserem Leben sein. Wann immer wir uns auf die Suche nach der Liebe machen, macht auch sie sich auf, uns zu finden. Sie ist eine Einstellung, mit der man durchs Leben geht.
Es ist Unsinn sagt
die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Erich Fried [9]
Wir suchen alles und immer auch gleich das Gegenteil davon, und wundern uns dann, wenn wir enttäuscht werden: Die Geborgenheit einer Partnerschaft und die Fremdheit einer wilden Liebesaffäre, Nähe, um das Alleinsein zu überwinden, und Distanz, um uns weiterentwickeln zu können, Stärke, um uns anlehnen zu können, wenn es uns gerade schlecht geht, und Schwäche, um dem anderen Mitgefühl zeigen zu können, Harmonie im Alltag und Abenteuer auf Reisen, all das mit demselben Partner und ohne uns selbst dabei zu verändern. In dieser Überschätzung der eigenen Veränderungsfähigkeit und auch der des Partners liegt der Keim zur Überforderung unserer Vorstellung von Liebe. Dann verlieben wir uns in ein Konstrukt von Liebe, das dem Vergleich mit dem Tatsächlichen nie standhalten kann. Unser Glück erleben wir nur im Traum und damit berauben wir die Liebe ihrer Macht. Liebe findet immer nur im wirklichen Leben statt, an wunderschönen Orten genauso wie zuvor beschrieben im Kinderspital. Liebe beginnt immer mit dem Willen zur Hingabe an einen ganz konkreten Menschen. Im besten aller Fälle geben wir einen Teil, aber eben nur einen Teil, unserer Individualität auf, um mehr zu werden. Wir erweitern unsere Möglichkeiten zu fühlen, zu sehen, zu denken, zu handeln und zu leben.
Ein Kriterium, das Psychologen in Langzeitstudien über glückliche Ehen herausgefunden haben, ist mir in Erinnerung geblieben, weil es so einleuchtend einfach ist: Die Innigkeit und Dauer der täglichen Begrüßungen und Verabschiedungen seien der Barometer für das Ausmaß an Liebe, das in jeder Beziehung herrsche. An der Art, wie Paare sich in diesen wenigen Augenblicken anschauen, sich berühren und miteinander umgehen, können selbst Außenstehende den Zustand der Beziehung erkennen.
Die Liebe erhellt unseren Wunsch nach Glück. Auch wenn wir die Sehnsucht nach Liebe nicht auf das Streben nach Glück reduzieren sollten, kann ein Leben, das von Liebe erfüllt war, nie ein unglückliches gewesen sein. Die letzte Stunde ist das Spiegelbild der gesamten Liebe unseres Lebens. Wenn Du nicht geliebt hast, wird es in der letzten Stunde auch wenig Liebe geben. Liebe ist etwas fundamental anderes als Respekt, Freundschaft, Achtung, Bekanntheit, Ruhm. Liebe kann nicht erzwungen oder gekauft werden. Liebe kann durch nichts ersetzt werden. Am Ende ist es die Summe der Liebe, die über das Glück in unserem Leben entscheidet, und das geht weit über die Liebe zu unserem Partner und unseren Kindern hinaus, wie Hermann Hesse so schön formuliert: „Für Jeden ist das Wichtigste auf der Welt sein eigenes Innerstes – seine Seele – seine Liebesfähigkeit … Wenn man dem Guten im Menschen zum Durchbruch verhelfen will, dann muss man ihn vor allem dabei unterstützen, glücksfähig zu werden. Und glücklich ist der Mensch vor allem wenn er liebt. Der Grund aller Weisheit ist: Glück kommt nur durch Liebe.“ [10]
Zwei mutige Sätze
Die existenziellste und immer wiederkehrende Frage unseres Lebens lautet: „Wer bin ich?“ Wenn wir beim Gedanken an unsere letzte Stunde darauf mit „Ich werde geliebt“ antworten können, ist alles gut und wir können sehr dankbar sein.
Am Ende des Tages sind es zwei Sätze, die uns oft ein Leben lang viel Mut gekostet haben: „Bitte halte meine Hand“ und „Ich liebe Dich“. Wie schön wäre es zu wissen, dass es jemanden gibt, der sie hören wird.
[1]
Leser, die sich von dieser Möglichkeit angesprochen fühlen, finden nähere Informationen für Österreich unter: www.knochenmarkspende.at , für Deutschland unter: www.zkrd.de , für die Schweiz unter:
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