Meine letzte Stunde
Tochter hat seither nie wieder mit ihm gesprochen.
Der Glaube, alles haben zu können, ist ein wichtiger Bestandteil unserer Jugend, ohne die uns später etwas ganz Wichtiges fehlen würde. Die Erkenntnis, dass wir eben doch nicht alles so bekommen können, ist eine entscheidende Voraussetzung, um sich mit fortdauerndem Leben nicht immer stärker als Versager zu fühlen, nur weil man einem selbst aufgestellten Idealbild, das für niemanden erreichbar ist, nicht entspricht. Wenn wir akzeptieren, dass nur die wenigsten von uns zu radikalen Persönlichkeitsveränderungen fähig sind, hat es umso mehr Sinn, sich bei der Arbeit an sich selbst Ziele zu setzen, die wir mit unserer Persönlichkeit auch erreichen können. Es besteht immer die Chance, ein paar Dinge so zu ändern, damit aus den vielen kleinen Sünden am Ende nicht die große Katastrophe wird. Und das ist eine sehr lohnende Arbeit. Alles oder Nichts, Sein oder Nichtsein, Schwarz oder Weiß sind wunderbare Stoffe für Filme oder das Theater, für unser eigenes Leben aber völlig unbrauchbare Konzepte. Denn unterwirft man ein zu 81 Prozent gelungenes Leben der „Alles- oder Nichts-Bewertung“, wird man es als gescheitert betrachten. Natürlich kann man ein Leben nicht nach Prozentsätzen bewerten, aber man wird immer wieder abwägen, was gelungen und was missglückt ist. Es gibt Menschen, die strahlen aus, dass sie aus ihrem tiefsten Innern sagen könnten: „Ja, das war mein Leben“, wann immer sie Bilanz ziehen müssten.
Ein Beispiel dafür ist die Geburtstagsrede dieses 70-Jährigen:
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit
zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin
und dass alles, was geschieht, richtig ist –
von da an konnte ich ruhig sein.
Heute weiß ich: Das nennt man VERTRAUEN.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
konnte ich erkennen, dass emotionaler Schmerz und Leid
nur Warnungen für mich sind, gegen meine eigene Wahrheit zu
leben.
Heute weiß ich: Das nennt man AUTHENTISCH SEIN.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen
und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Aufforderung
zum Wachsen war.
Heute weiß ich, das nennt man „REIFE“.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben,
und ich habe aufgehört, weite r grandiose Projekte für die Zu kunft zu entwerfen.
Heute mache ich nur das, was mir Spaß und Freude macht,
was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt,
auf meine eigene Art und Weise und in meinem Tempo.
Heute weiß ich, das nennt man EHRLICHKEIT.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war,
von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen
und von allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir
selbst.
Anfangs nannte ich das „Gesunden Egoismus“,
aber heute weiß ich, das ist „SELBSTLIEBE“.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen,
so habe ich mich weniger geirrt.
Heute habe ich erkannt: das nennt man DEMUT.
Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben
und mich um meine Zukunft zu sorgen.
Jetzt lebe ich nur noch in di esem Augenblick, wo ALLES statt findet,
so lebe ich heute jeden Tag und nenne es „BEWUSSTHEIT“.
Als ich mich zu lieben begann,
da erkannte ich, dass mich mein Denken
armselig und krank machen kann.
Als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte,
bekam der Verstand einen wichtigen Partner.
Diese Verbindung nenne ich heute „HERZENSWEISHEIT“.
Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen,
Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen zu fürch ten,
denn sogar Sterne knallen manchmal aufeinander
und es entstehen neue Welten.
Heute weiß ich: DAS IST DAS LEBEN!
Das hat Charlie Chaplin an seinem 70. Geburtstag am 16. April 1959 gesagt. Ein Mann, der sich das Leuchten in seinen Augen ein Leben lang bewahrt hat.
Das ist ein schöner Schluss für dieses Buch, das Ihnen zwei Gedanken näherbringen wollte: Zu zeigen, dass es besser ist, sich die letzte Stunde zum Freund zu machen, als sich vom Tod unvorbereitet überraschen zu lassen. Und die hohe Kunst, das Leben nach seinen eigenen Maßstäben zu leben. Diese lässt sich wohl kaum besser als mit Charlie Chaplins Geburtstagsrede
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