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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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in der Zelle am Breitenbachplatz, wo er Anfang 1933 Polleiter geworden sei.

    Derartige autobiografische Berichte gehörten zur ganzen Kontroll- und Zermürbungstechnik innerhalb der Komintern – Menschen dazu zu bringen, immer wieder freiwillig über ihr Leben Bericht zu erstatten, Namen von Genossen preiszugeben. Daraus entstand ein Konvolut an Material, das auf gewisse Widersprüche, andere Details und auf Kontakte hinwies, die gegen sie verwendet werden konnten. Deshalb die unzähligen Namen: Houtermans, Magnus, Mehring, Kuusinen, Garbo …
    Aus anderen autobiografischen Aufzeichnungen – die oben zitierte ist die ausführlichste – geht hervor, dass Heinrich Kurella verheiratet war und, interessanterweise, ein Kind hatte: Genau. Eins. Ich glaube, dass mit »verheiratet« die Liebesbeziehung zu meiner Mutter gemeint war, auch wenn sie nie vor dem Gesetz getraut wurden. Seine »Frau« in den Kaderakten ist jedenfalls immer die Gräfin Stenbock-Fermor. Aber das Kind?
    Es war nicht ihrer beider Kind, das weiß ich. Vermutlich hatte er das Kind mit einer anderen Frau bei einer seiner
früheren Moskau-Aufenthalte bekommen, oder aber auch er hatte – wie sie – »moralische Dummheiten« begangen, als er sich 1932 in Moskau aufhielt.

    Überraschend spielt mir ein weiteres Puzzleteilchen in die Hände – in Gestalt einer Geschichte über das Berlin der frühen Dreißigerjahre, eine Geschichte von Margret Boveri – damals eine junge Frau, die ihren Doktor in Geschichte gemacht hatte und danach ab 1933 als Journalistin und Korrespondentin für das Berliner Tageblatt arbeitete (sie nahm den Platz eines gefeuerten Juden ein). Margret Boveri berichtete zu Kriegsbeginn aus Stockholm und New York, verfolgte das Kriegsende aber in Berlin. Und damals, zu Beginn ihrer Zeit in Berlin, verkehrte sie mit Gisela von Dehn und ihrer Freundin Gräfin Charlotte Stenbock, »eine Rumänien-Deutsche, eine sehr hübsche und sex-appealige Person«. Margret, Gisela und die schöne Charlotte suchten manchmal Tania Kurellas elegante »Praxis« für Krankengymnastik auf, und über Tania lernte Margret auch Heini kennen, den sie folgendermaßen beschrieb:

    »Heini, ein junger blonder Mann, mit einer Frische wie ein klarer Bach, war derjenige, der mich am ehesten zum Kommunismus hätte bekehren können. Er war in Wickersdorf, dem Landschulheim, aufgewachsen, und in der damaligen Zeit der strengen Erziehung, als junge Leute sehr lange schüchtern und linkisch blieben, haben die Landschulheimkinder eine Natürlichkeit und Unbefangenheit im Umgang gehabt, die von vornherein für sie einnahm.«

    Die Freie Schulgemeinde Wickersdorf war eines der herausragendsten reformpädagogischen Schulmodelle in ganz Deutschland und ist 1906 unter anderem von Gustav Wyneken initiiert worden – er gehörte zu jener seltsamen deut
schen männlichen Spezies, die Jugendbewegungen gründete und Begriffe wie pädagogischer Eros ins Spiel brachte …
    Und wie in Berlin getratscht wurde! Es klingt wie ein Echo aus jenen Tagen, als ich erstaunt bei Boveri lese, Heinrich sei nach seiner Freilassung aus Gollnow auf direktem Wege zu Stenbocks Wohnung gegangen und habe sich zwischen die Eheleute ins Bett gelegt, und damit sei die Sache besiegelt gewesen … Scheint mir eine typische Stenbock-Geschichte zu sein. Vielleicht war er ja so unbekümmert auch über seine hinweggegangen. Ach was!
    Kommunist-Idealist
    Im Alter von 19 Jahren tritt der junge Heini in den Kommunistischen Jugendverband ein. Ob Vater Hans sich darüber geärgert hätte, weil nun auch sein zweiter Sohn sein Bildungserbe, seinen bürgerlichen Hintergrund, die wahren Werte missachtete?! Oder hätte er ganz im Gegenteil die Entscheidungen seiner Söhne als eine logische Konsequenz seines eigenen sozialen Pathos betrachtet, und so wie die Zeiten nun mal waren …? Aber Hans Kurella ist zu diesem Zeitpunkt schon verstorben; er starb im Oktober 1916 im Alter von 58 Jahren. Heinrich war da erst elf Jahre alt. Vielleicht nahm der große Bruder deshalb eine so wichtige Rolle für ihn ein? Als Ersatzvater sozusagen?
    Aus Heinrich Kurella wird ein sehr gebildeter junger Mann – wie auch immer das mit dem Jurastudium lief. Er spricht fließend Englisch und Russisch, womöglich hat er das schon als kleines Kind von zu Hause mitbekommen – er liest Marx und Lenin und alle Theoretiker, er ist während der NEP -Zeit (Neue Ökonomische Politik, als in der Sowjetunion ein gewisses Maß an Marktwirtschaft zugelassen

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