Meine Mutter, die Gräfin
Geld.«
24. Mai 1938: »Habe nur 300 aus Kopenhagen bekommen; weiß also überhaupt nicht, wovon wir leben sollen.«
Wir? Und wer verbirgt sich hinter dem »L«, dem sie schreibt – »ich habe so häufig geschrieben« – Briefe, von denen sie sich Erfolg verspricht – Briefe, in denen sie von Heini spricht? Briefe an Heini? Briefe an die Partei? Berichte? Schilderungen?
»Meine Lage ist so dämlich, so verworren, wie soll ich mich nur daraus befreien – wer wird mir schon Glauben schenken?«, klagt sie Anfang August. »Muss mein Leben ändern!«
Im fortgeschrittenen Herbst vertraut sie sich ihrem Freund Tschü… an, der Mann mit dem Nachthemd und den Zigaretten, der Mann, dessen Name in Zusammenhang mit ihrer Zeit in Kopenhagen zu stehen scheint, der Mann, der kreuz und quer durch die Weltgeschichte reist, manchmal in die USA , der Mann, der sich zu ihrem zweitbesten Freund mausert: »Gestern Abend«, hält sie in ihrem Tagebuch fest, »habe ich mit T. gesprochen – ziemlich ausführlich. Er behauptet, so etwas gewusst zu haben, schien aber trotzdem sehr erschüttert zu sein und hat mir die Moral aus Candide mit auf den Weg gegeben [dass man seinen Garten pflegen muss]. Aber damit habe ich nun wirklich einen Trennstrich gezogen und mich von all diesen Sachen losgesagt – ich denke, ich kann es verantworten. Es war nichts mehr und hat mich sehr belastet. Darüber wird es eines Tages sicher noch einmal zu einer Auseinandersetzung mit H. kommen. Wenn es ihm bloß nicht schlecht geht … Mein Gott, was für Träume sind in diesen zwei Jahren kaputtgegangen. Träume, Hoffnungen, die mir zum Teil das ›richtige‹ Leben und Arbeiten unmöglich gemacht haben … Ich habe meine Lektion spät gelernt, und doch war es so schön, daran zu glauben, wenngleich die Ernüchterung nach dem Aufwachen umso grässlicher war.«
Sie zieht einen Trennstrich, sagt sich los – ihre Träume und ihr Glaube sind dahin – Heini, Heini, was hab ich getan? Nicht wegen ihres Einsatzes für die »Sache« plagen sie Ge
wissensbisse, sondern eher hat sie Angst vor Heinis Reaktion. Jetzt hat sie also doch gehandelt und mit der Sache gebrochen. Andere Notizen wiederum deuten darauf hin, dass sie aus der Partei ausgeschlossen wurde.
Alles fällt in sich zusammen – die Liebe und die Politik.
Der Oktober ist schon weit ins Land gegangen, als sie ihrem Freund mit dem unentschlüsselbaren Namen Tschü… ihr Herz ausschüttet. Zu dem Zeitpunkt weiß sie bereits seit September – wenn nicht gar früher –, dass sie in der Partei zur persona non grata geworden ist. Von jenem »L« erfährt sie jetzt, dass die Partei ihm den Umgang mit ihr untersagt hat und dass in Parteikreisen das Gerücht kursiert, dass sie aus Moskau geflohen und auf dem Weg nach Griechenland sei. … »Es ist alles so schrecklich deprimierend und ich habe mit einem abgrundtiefen Ekelgefühl zu kämpfen.«
»Die Partei?«, schreibt sie im Februar 1939 rückblickend. »Darüber weiß ich nichts. Sie hat mich ausgeschlossen, was nicht weiter erstaunlich ist, aber es tut weh!«
Ach, wie verworren das alles ist! Sie verspürt Ekelgefühle, es ist grässlich, sie zieht einen Trennstrich, und doch glaubt sie noch …
Vermutlich war es eine Mischung aus allem, jene Mischung, die sich Leben nennt. Sie wurde wahrscheinlich ausgeschlossen, weil sie nichts »lieferte«. Sie hat sozusagen selbst ihren Parteiausschluss »bewirkt«. Aber was ist es, das sie nicht
liefert oder nicht zufriedenstellend erledigt? Ich neige langsam zu der Ansicht, dass es sich um einen Auftrag gehandelt haben muss, vermutlich sollte sie systematisch die Bewegungen der Atomphysiker in Kopenhagen und Paris erfassen. In Kopenhagen suchte sie Kontakt zu Victor Weisskopf und Frau sowie zu Georg Blatschek – Männer ihres Alters, denen sie und Heini zuvor entweder in Zürich oder in der Sowjetunion begegnet sein müssen, wo zumindest Weisskopf sich 1936 für einen längeren Zeitraum aufgehalten hat. Außerdem wohnte sie, wie wir festgestellt haben, nicht nur bei Weisskopfs, sondern auch bei den Lebenbaums. Der Name Lebenbaum wiederum taucht bei einem Physiker auf, der mit Niels Bohr zusammenarbeitete.
Blatschek muss selbst enge Verbindungen zu Kommunisten unterhalten haben, da er sie – neben oben genanntem »L« – mit »Informationen« über Heini versorgte. Bei ihm handelt es sich auch um denjenigen, den sie zwar als rührend, aber trotzdem nicht als den Richtigen bezeichnet hat. Sie müssen sich
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