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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Erste-Hilfe-Kurs und wurde in ihrer Firma danach zur Sicherheitsombudsperson ernannt. Und: Für ein paar Monate versorgte sie Kranke im Ausländerlager, wobei ihre Sprachkenntnisse von großem Nutzen waren.
    Im Juni 1945 aber schied sie »infolge Betriebseinschränkung durch wiederholte Bombenschäden« aus der Leipziger Wollkämmerei aus. »Unsere besten Wünsche begleiten sie.«

    Man füge noch die großen Luftangriffe hinzu: Der Schlimmste erfolgte am 4. Dezember 1943, als die Flugzeuge über eine Stunde lang ihre Last abwarfen, und schließlich der große Bombenangriff im Juli 1944, als der Leipziger Hauptbahnhof und weitere Verkehrsanlagen von amerikanischen Truppen völlig zerbombt wurden.

    Leni, die Ernste, während ihrer Ausbildung zur Rot-Kreuz-Helferin. Winter 1942.
    Und so landete sie schließlich im anderen Teil Deutschlands, in der DDR . Lebte weiterhin in der Wohnung in der Reginenstraße, die sie mit einer Genossin – Ilse – teilen muss. Mit Ilse, die zu ihrer Familie werden sollte – ihrer richtigen Familie, zu der auch ihr gemeinsamer kleiner Pudel gehörte, während sich ihre Wunschfamilie in Schweden befand. An der sie durch Fotografien Anteil nahm – nein, wie süß! – und in Form von Paketen und Briefen, die ihr ge
schickt wurden. Ab 1951 erhielt sie eine kleine Arbeitsunfähigkeitsrente. Ein Formular aus dem Jahr 1989 listet in 4 Punkten ihren Gesundheitszustand auf:

    1.1.1 Degeneratives Wirbelsäulen- und Gelenkleiden, Teilschwäche des rechten Armes. Parkinsonsyndrom, Fußfehlstatik.
    1.1.2 Herz- und Hirnleistungsminderung bei sklerotischem Herz- und Gefäßleiden, Schwindel.
    1.1.3 Psychische Behinderung.
    1.1.4. Verlust der Schilddrüse.

    Meine kleine Tante Leni … Ihr tapferes Lächeln, ihre müden dunklen Augen. Aber sie kämmt ihre gepflegte, graue Kleinmädchenfrisur, legt ihren Schmuck an, lässt ihren Blick über den schlampigen Aufzug ihrer Nichte schweifen, holt ein hellgelbes DDR -Kleid aus einem undefinierbaren Material herbei – wie könnte ich ihr das abschlagen? –, und ge
meinsam gehen wir daraufhin adrett und frisch gekämmt zum Speisesaal. Und zu dem wässrigen weißen Spargel.
    Verlust der Schilddrüse? Psychische Behinderung? Findet das Rätsel Fritz hier seine Lösung? Läuft es auf ihren Körper hinaus – ihren ausgemergelten, kranken Körper, der auf seine Auflösung zusteuert? »Mensch, lass mich in Ruh!«

    Und Alexander? Was wurde aus Alexander? Aus seiner Autobiografie Der Rote Graf geht hervor, dass es ihm – obwohl er 1933 verhaftet, dann freigelassen und seiner Staatsbürgerschaft beraubt worden war – doch gelang, sich wie unzählige Male zuvor ein recht bequemes Dasein zu schaffen. Wieder lernte er Menschen kennen, die ihm zur Seite standen – ihm mit einer Unterkunft, mit Geld behilflich waren, sodass er sich vor der Gestapo verstecken konnte. So half ihm beispielsweise Herbert Kisselbach, den er und Mama 1927 in Jena kennengelernt hatten. Herbert – der Notar in Hamburg war und mit der schönen Holländerin Nell den Bund der Ehe geschlossen hatte, jener Nell, die Stenbock später von ihm »übernehmen« sollte – unterhielt gute Kontakte zu den Nazis und sorgte dafür, dass Stenbock nicht ausgewiesen wurde.
    Stenbock und Nell zogen ein paar Jahre vor Kriegsausbruch nach Berlin und hatten schon bald einen neuen Bekanntenkreis gefunden, der sich aus Antifaschisten, Überlebenskünstlern und anpassungsfähigen Existenzen – so Stenbock – zusammensetzte, darunter auch Margret Boveri, die als Journalistin für die Frankfurter Zeitung arbeitete. Er selbst wurde unter dem Pseudonym Peter Lorenz Mitglied der nationalsozialistischen Reichsschrifttumskammer, um zu überleben. Schreibt er. Ungefähr einmal pro Jahr drohte ihm die Ausweisung, trotzdem gelang es ihm immer irgendwie zu überleben. Kontakte? Sein Grafentitel? Gemeinsam mit seinem alten Spießgesellen Beppo Römer und dem Schau
spieler Hans Mayer-Hanno gründete er so etwas wie eine Widerstandsgruppe. Sie verfassten Flugblätter, die sie in Umlauf brachten, andere jedoch in Lebensgefahr – so wie das überdrehte Ehepaar in Hans Falladas Roman Wolf unter Wölfen .
    Doch es dauerte nicht lange, und Stenbock entzog sich dem gefährlichen Spiel, während Beppo Römer und Hans Mayer-Hanno verhaftet und hingerichtet wurden.
    Während des Krieges harrte er mit Nell in Berlin aus, 1942 schrieb er Schloß Teerkulen. Eine Heidegeschichte, ein Roman, der »einschlug«, sodass sie sich wieder eine

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