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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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wunderbaren Buch
über Czernowitz, glaube ich, genannt wurden, das ich vor ein paar Jahren in Berlin entdeckt habe. Sie erhielten ihre Einflüsse von Rumänien und Nicolae Iorga, der 1891 die Kulturliga für die Einheit aller Rumänen gegründet hatte. Nicht ohne Grund war dieser Iorga auch Historiker – unter denen finden sich ja oft die schlimmsten Nationalisten wieder; solche, die nach alten Wurzeln graben und nach Urzeiten zurückliegendem Unrecht fahnden –, und für ihn waren Czernowitz' Juden »Parasiten«, eine Bürde, »ein Ekel« für alle Rumänen, deren Land sie geraubt hatten und so weiter und so fort.
    Auch die Ukrainer (Ruthenen) hegten eigene nationalistische Träume und gründeten in Czernowitz das drittgrößte Kulturzentrum der Ukrainer nach Kiew und Lemberg (heute Lwiw), als die Schledts dorthin kamen. Darüber hinaus gab es dort auch Großdeutsche, Großpolen, Großgriechen – also alle möglichen nationalistischen Männer, die sich, damals wie heute, über einem Bier oder auch zweien, ständig über mythologische, männliche Heldentaten ereiferten und darüber, wem die Eigentümer »eigentlich« zustanden.
    Man gewinnt eine ungefähre Vorstellung von den Kräfteverhältnissen zwischen diesen homosozialen Gruppen, wenn man einen Blick auf die Wahlen in den Reichsrat nach Wien von 1911 wirft. Die Bukowina erhielt 14 Mandate, die sich auf 6 Rumänen (von denen einer Sozialdemokrat, die anderen Nationalisten waren), 5 Ruthenen, 1 christlichsozialen Deutschen, 1 deutschen Agrarier und 1 Juden, den deutschliberalen Benno Straucher (er saß von 1897 bis 1914 im Reichsrat) verteilten.
    Noch aber sind es nicht die Spannungen zwischen diesen Menschen, die die Zeit in der bukowinischen Hauptstadt vor dem Ersten Weltkrieg charakterisieren. Es ist vielmehr das tolerante Miteinander. Eine Kultur, die sich aus diesem gemischten ethnischen Gebräu speist und wo selbst die Straßenschilder (bis 1918) dreisprachig waren: Rumänisch, Deutsch
und Ruthenisch. Sicher, man könnte den Fehler begehen, eine Situation zu romantisieren, in der einem überhaupt keine andere Wahl blieb, als Seite an Seite zu leben; dennoch scheint eine Atmosphäre geherrscht zu haben, in der verschiedene gemeinschaftliche Vorhaben gedeihen konnten. Die 1875 von den drei dominierenden Volksgruppen gegründete Universität war beispielsweise so ein gemeinsames Verdienst. Und ich kann nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass der weltberühmte, an der Universität von Czernowitz unterrichtende Wirtschaftswissenschaftler Josef Schumpeter 1910 eine kleine Schrift verfasste, die ausgerechnet in Fritz' Buchhandlung – die eine Verlagsbuchhandlung war – veröffentlicht wurde: Wie studiert man Sozialwissenschaft: Czernowitz, Im Kommissionsverlag der K.K. Universitätsbuchhandlung H. Pardini. Dieses Büchlein, wie man auf der Rückseite des Einbands lesen kann, soll »wie eine Fackel sein, die Irrenden den Weg erhellt. Es soll durch Dickicht und Dorn eine gangbare Straße schlagen und ein kostbares Geschenk sein, dessen Größe jeder Wissensdurstige ermessen wird, der in dem unendlich weiten Gebiet der Sozialwissenschaften nach sicheren Begriffsfundamenten suchte, den Kampf mit den Schlagworten ausfocht und nur zu oft – ihr Opfer ward.«

    Aufklärung! Ausbildung! Bildung! Wenn irgendwo in Europa eine eigene Buchhandlung, dann hier, muss Fritz durch den Kopf geschossen sein, als er in jenem verschneiten Januar nach Czernowitz kam – hier wurde gelesen! Paul Celan, vielleicht Czernowitz' berühmtester Autor, der dort in der Zwischenkriegszeit lebte, sprach von seiner Heimatstadt auch als einer »Gegend, in der einmal Menschen und Bücher lebten«.
    Ja, wie hätte man es auch vermeiden können, sich dem Charme dieser multikulturellen kleinen Hauptstadt mit ih
ren schönen Jugendstilhäusern, ihren Gärten, ihren Cafés, ihren Parks zu entziehen? Man höre sich nur diese nostalgietriefende Erinnerung an:

    »Ein Bild aus der Erinnerung stellt alle anderen in den Schatten und erweckt jene wie unter einem Zauber stehenden glücklichen Tage wieder zum Leben. Die unvergessenen Sonntagsspaziergänge entlang der Ostseite des Ringplatzes und der Pardinihöhe – die überhaupt nicht hoch war und ihren Namen der Universitätsbuchhandlung Heinrich Pardini (später Engel und Suchanka) verdankte. Wo Grüppchen von jungen Offizieren der Garnison in ihren prächtigen Paradeuniformen standen, Studenten der Franz-Josephs-Universität auf und ab spazierten und mit

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