Meine Mutter, die Gräfin
ihren Mützen ein farbenfrohes Bild boten, Mädchen kokett lächelten und schwatzten und die herausfordernden, bewundernden Blicke der Männer wie eine persönliche Huldigung entgegennahmen und zugleich den Anschein erweckten, als nähmen sie die Kommentare nicht wahr. Jeden Mittwochabend musizierte das k.u.k Infanterieregiment Erzherzog Eugen Nr. 41 unter dem Kapellmeister Kosteletzky im Stadtpark ›Volksgarten‹ für das flanierende Publikum – in unmittelbarer Nähe des Tomasczuk-Denkmals, gegenüber dem Gartenrestaurant ‹Kursalon‹. Der Park war gut besucht, und so bestand wenig Aussicht, einen Sitzplatz auf einer der Gartenbänke zu ergattern.«
Da ist sie – Pardinis Universitätsbuchhandlung! Und sie war in der Tat nicht ganz unbedeutend. Kein schlechter Fang von ihm, dem Fritz . Zwei Jahre – von 1912 bis 1914 – sollten sie in Czernowitz in der Dreifaltigkeitsgasse 12 c in der Villa Beta wohnen.
Dort besuchte meine Mutter die Volksschule und lernte – nach der Schule in Oxford – zum ersten Mal richtig Deutsch.
Im November 1912 übernahm Pardinis Buchhandlung, die in jenen Tagen im Besitz von Fritz und einer Frau J. Engel war, eine kleine Buchhandelsfiliale in einer nahe gelegenen Kleinstadt, die mehr und mehr zu einem Krimskramsladen verkommen war, nun aber wieder in altem Glanz erstrahlen sollte. Im Juni 1914 wurde sie ganz von Fritz übernommen. Sein Traum war in Erfüllung gegangen: Er hatte seine eigene Buchhandlung. Und so komme ich – kamen sie also zum letzten geheimnisumwitterten Wort in der Serie meiner Mutter: Radautz – Rădăuţi. Denn dort lag die Buchhandlung der Schledts.
Radautz
Es ist eine Zeit, bevor all die Dinge ihren Lauf nehmen, die die Welt abgestumpfter, hässlicher und verdorben machen – es ist noch eine Zeit der Unschuld, der Hoffnung, eine Zeit der großen sozialen Träume, in der die Luft zum Atmen noch rein, die Wälder tief und grün sind, die Felder unbespritzt und die Kühe noch nicht literweise vitaminisierte Milch produzierten; als die Welt – stelle ich mir vor – noch (be-)greifbarer war: Hier der Schumacher, da der Bäcker, und dort braut man das Bier. Überschaubar eben. Und arm. Und schmutzig. Hierarchisiert, rechtlos, lausig, saumselig, abergläubisch, zahnlos, wimmelnd. Häuser, die sich schief und zugig den finsteren, unbeleuchteten Kopfsteinpflasterstraßen zuneigen, die die eisenbeschlagenen Räder der Kutschen zum Dröhnen bringen.
Die Buchhandlung lag in dem schönen Jugendstilgebäude von 1909 (siehe Kreuz), das das Bild des Stadtzentrums beherrschte.
Ich starre auf die Fotografien des Albums, das Fritz zusammengestellt hat – vermutlich nachdem sie nach Leipzig gegangen waren oder darauf warteten, das idyllische Städtchen verlassen zu können, in dem sich für sie alles zum Albtraum entwickelt hatte. Es wundert mich, dass er kein richtiges Fotoalbum besaß – schließlich bestritt die Buchhandlung ih
ren Umsatz ja nicht allein mit Büchern, sondern auch mit Papier, Briefpapier, Schulbüchern, Alben, Schreibmaterialien und so weiter –, sondern ein Papiermusterheft mit »glattem, farbigem Karton« der Firma SV Papier dafür verwendet hat. Mir widerstrebt zutiefst, dass ich die farbigen Einbandkartonmuster beschädigen muss, aber ich muss doch sehen, was auf der Rückseite dieser nachlässig eingeklebten Aufnahmen steht.
Und da, auf einem Bild in diesem provisorischen Fotoalbum, sieht man also an einem weiten, offenen Platz, wo die noch nicht asphaltierte Hauptstraße von einer Art Allee gesäumt wird, die Buchhandlung in einem der größten Steingebäude des Zentrums liegen. Ein Gebäude, das auch das Rathaus beherbergt. Radautz sieht aus wie eine richtig idyllische Kleinstadt, die wie Czernowitz auch eine sehr jüdische Stadt war. Die Brauerei war im Besitz von Salomon Rudich, die Likörfabrik – von der wir noch mehr hören werden – gehörte Leon Rudich. Des Weiteren gab es in Radautz eine
Knopffabrik, einen Holzhandel, eine Mineralöl- und Kerzenfabrik, eine Gerberei, einen Schuhwarenhändler und einen Galanteriewarenhandel, eine Glashandlung und ein Zementwerk – und alle in jüdischem Besitz. Radautz war eine der mächtigsten Festungen der Zionisten, weshalb auch so viele Bilder von der Stadt und ihren Einwohnern aus jener Zeit im Internet kursieren: Menschen haben Fotos ihrer Großmütter ins Netz gestellt oder von Mädchen mit schönen, großen dunklen Augen. Fotos von Menschen, die zugleich respektvoll und
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