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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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haben, was das bedeutet.
    In allen Ländern spalten sich die Sozialisten und wittern wie die anderen Kriegsluft, die II . Internationale fällt – wie ein misslungenes Soufflé – in sich zusammen, sodass man die Hoffung auf eine vernünftige, friedliche internationalisierte Welt gleichsam pfeifend daraus entweichen hören kann. Alle rufen Hurra, und selbst meine Mutter wird von der allseits herrschenden Kriegsbegeisterung angesteckt:

    »Radautz 1914. Der Krieg ist ausgebrochen. Wir wohnen in der Wollowetzergasse und haben einen Garten. Die Menschen sind alle voll des Eifers, und überall sind schwarz-gelbe Rosetten und Schleifenbänder zu sehen. Wir sind den ganzen Tag auf der Straße und ich habe in der allgemeinen Aufregung sogar fast meine unerwiderte Liebe zu einem jungen Gymnasiasten, der neben uns wohnt und sehr hochmütig ist, vergessen. Mama hat uns
dicke mit Schnittlauch bestreute Schwarzbrote gegeben, und jetzt stehen wir kauend am Tor und sind stolz – und wissen eigentlich gar nicht, weshalb.«

    Im Dezember 1914 kamen zum ersten Mal die Russen nach Radautz und mit ihnen Kalmücken, Chinesen (sie trugen tatsächlich lange Zöpfe!) und Tataren. Zur selben Zeit erkrankte das kleine Mädchen, Lolotte, an Diphtherie – »ist das schön, Fieber zu haben!« Und dann wurde es dramatisch. Von hier an kann ich Emilie das Erzählen überlassen, denn der Krieg ist die Sternstunde ihres Lebens. Es bleibt keine Zeit mehr, sich über die »Ernüchterung« den Kopf zu zerbrechen, über ihre Liebe zu Fritz – er ist über weite Strecken abwesend und nimmt die Gestalt eines Kriegshelden an, dem sie Briefe schreibt. Sie schildert diese harten, aber – zumindest in der Rückschau – auch unsäglich spannenden Jahre in unterschiedlichen Versionen, und zwar auf Deutsch wie auf Französisch (1939 in Briefen an meine Mutter). Daneben sind noch unzählige Briefe von damals an Fritz erhalten geblieben, die Zeugnis darüber abgeben. Natürlich waren diese Jahre von Einsamkeit, Angst und Verzweiflung geprägt, aber alles war doch auch ein großes Abenteuer! Und ihr gelang es, die ganze Zeit über die Buchhandlung am Laufen zu halten, während sie gleichzeitig – gemeinsam mit dem Dienstmädchen Resi – den Haushalt schmiss und die Kinder bändigte und mit Einquartierungen und Belagerungen, Nahrungs- und Geldmangel fertig wurde. Ebenso wie einst ihre bewundernswerte Mutter – ihr großes Vorbild. Emilies Selbstvertrauen wuchs. Wenn sie das schaffte – ja, dann konnte sie alles schaffen! Das war zweifellos ein Gefühl, das ihr bis zuletzt eine große Hilfe war (und ein Gefühl, das sie sich wohl auch für immer bewahrte).

    Und so erzählt Emilie – ausführlich – von der Nacht im Dezember 1914. Erzählt von der Nacht, in der meine Mutter mit Diphtherie im Bett lag und die Kosaken kamen:

    »Im Dezember 1914 nahte die erste russische Invasion – russische Kosaken zu Pferde. Ihr Einzug in die Stadt war sagenhaft! Sie tänzelten geradezu auf ihren Pferden herein und ließen ihre Musikinstrumente erschallen, so laut wie es nur ging. Du hattest Diphtherie und lagst isoliert in einem Zimmer in der Wollowetzergasse. Des Abends warteten wir auf sie. Es war allgemein bekannt, dass sie jedes Haus durchkämmten und plünderten, eines nach dem anderen. Juden waren so gut wie keine mehr in der Stadt, sie waren schon geflohen, als sie die Nachricht vom Vorstoß der Russen erreichte.
     Dein Vater und ich spielten Schach, während wir Dir Gesellschaft leisteten; es war erst acht Uhr abends. Nach der Ausgangssperre schwärmten die Soldaten in die ganze Stadt aus. Da klopfte es an der Tür. Vati ging hin und öffnete – da standen drei Kosaken davor und begehrten Einlass. Sie sahen enttäuscht aus, als sie ihn sahen, lächelten mir aber freundlich zu. Dein Vater erläuterte ihnen, dass Du an einer ansteckenden Krankheit littest. Seine früher einmal erworbenen Russischkenntnisse genügten dafür. Aber Kosaken fürchten nichts und niemanden. Sie traten ein, erspähten Dein Portemonnaie auf dem Tisch und nahmen es an sich, nahmen auch den Wecker und öffneten den Schrank, um ihn zu durchwühlen. Ich holte den Weihnachtskuchen und gab ihnen etwas davon, und dann wollten sie um jeden Preis Wodka, aber den hatten wir doch nicht im Haus, nur Wein. Sie gaben sich damit zufrieden, forderten dann aber Musik vom Grammophon. Wir waren ihnen zu Willen und stießen ohne größere Begeisterung mit ihnen an. Anschließend wollten sie

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