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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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morgen heiraten, dann eben nur standesamtlich. Und sie schmiegt ihren Kopf an seine Wange, sind sie doch gleich groß, und antwortet, Ach, du mein lieber Alex, das ist ein Kind der Liebe …
    Nein, so hat sie sich das ganz und gar nicht vorgestellt. Ein Kind – jetzt?! Wo das Leben gerade erst verspricht, spannend zu werden? Jetzt? In dieser Welt, in der nur Elend herrscht? Sie sucht nach der zweiten Nummer der Zeitschrift Die Kämpferin , die soeben erschienen ist, und liest ihm laut aus Tucholskys kleinem Beitrag Die Leibesfrucht spricht vor:

    »Für mich sorgen sie alle: Kirche, Staat, Ärzte und Richter. Ich soll wachsen und gedeihen; ich soll neun Monate schlummern; ich soll es mir gut sein lassen – sie wünschen mir alles Gute. Sie behüten mich. Sie wachen über mich. Gnade Gott, wenn meine Eltern mir etwas antun; dann sind sie alle da. Wer mich anrührt, wird bestraft; meine Mutter fliegt ins Gefängnis, mein Vater hintennach; der Arzt, der es getan hat, muss aufhören, Arzt zu sein; die Hebamme, die geholfen hat, wird eingesperrt – ich bin eine kostbare Sache.
     Für mich sorgen sie alle: Kirche, Staat, Ärzte und Richter.
     Neun Monate lang. Wenn aber diese neun Monate vorbei sind, dann muß ich sehn, wie ich weiterkomme.
     Die Tuberkulose? Kein Arzt hilft mir. Nichts zu essen? Keine Milch? – kein Staat hilft mir. Qual und Seelennot? Die Kirche tröstet mich, aber davon werde ich nicht satt. Und ich habe nichts zu brechen und zu beißen, und stehle ich: gleich ist ein Richter da und setzt mich fest.
     Fünfzig Lebensjahre wird sich niemand um mich kümmern, niemand. Da muss ich mir selbst helfen.
     Neun Monate lang bringen sie sich um, wenn mich einer umbringen will.
     Sagt selbst:
     Ist das nicht eine merkwürdige Fürsorge –?«

    Genau! , erwidert er. Aber im Ernst, Alex, sagt sie, das wäre eine Katastrophe, und deine Eltern, deine Mutter, würden das nicht verstehen; und sie hat es schon so schwer, diese ganze Umstellung! Und auf die Hochzeit im Juni, darauf freut sie sich doch so. Und wir sind doch noch so jung! Lass uns noch ein bisschen warten, bis du dir eine wirkliche Position geschaffen hast, bis wir eine eigene Wohnung und Geld haben – aber dann werden wir viele Kinder haben, ja?
    Keiner musste den anderen erst überreden – es könnte genauso gut Alexander gewesen sein, der ihr Tucholsky vorgelesen hat, in der Sache sind sie sich einig. Aber wie stellt man es an? Vermutlich weiß Alexander Bescheid: Es kostet 150 Mark (entsprach ungefähr dem Monatslohn eines Arbeiters), die wird er beschaffen; sie soll sich nicht sorgen, ein richtiger Arzt wird das machen, das sei ja nur ein kleiner Eingriff, überhaupt nicht gefährlich. Und sie sieht auf ihren schlanken Jungmädchenkörper herunter und ihr gehen Bertolt Brechts Worte durch den Kopf, dass Schwangerschaft eine sexuell übertragene Krankheit sei – nee, dieser Tage sollte man keine Kinder in die Welt setzen! Wir regeln das, Alex, so schnell wie's geht.
    Und so regeln sie das – obwohl das 1929 gemäß Paragraf 218 des Strafgesetzbuches der Weimarer Republik Deutschlands eine kriminelle Handlung war, genau wie in Schweden zu der Zeit. Aber wenn man Geld hatte – und das konnte man sich ja leihen, Thiess würde ihnen bestimmt wieder unter die Arme greifen –, war das nicht weiter schwierig in die Wege zu leiten. Es gab Privatkliniken. Diskretion – Ehrensache. Menschen ohne Geld waren da schon schlimmer dran,
ja richtiggehend übel. Da hatte man nur die Wahl, zu gebären oder einschließlich aller Risiken eine billige Abtreibung vornehmen zu lassen oder selbst Hand an sich zu legen – ich mag nicht mal daran denken.
    Oder stelle ich das Ganze zu einfach dar? Hatte sie vielleicht doch versteckte Schuldgefühle – denn war dem nicht so, dass eine richtige, ja, eine richtige Frau – und das weiß sie, schließlich hat sie die Bücher gelesen – trotz noch so widriger Umstände ihr Kind bekommt? So macht das schließlich die selbstständige Gilgi in dem Buch mit eben diesem Titel und so macht das auch Vicky Baums Heldin, die Chemikerin Helene Willfüer. Beide kümmern sich allein um ihre Kinder – sind das nicht die wirklich »neuen Frauen« der Weimarer Republik?
    Vielleicht ist sie ja gerade deshalb eine von denen, die in jenem unruhigen Frühjahr 1931 auf die Straße gehen, um gegen den Paragrafen 218 zu demonstrieren und im Demonstrationszug zu rufen: »Dein Körper gehört dir!«
    Paragraf 218
    Es gab in der

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