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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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dreiviertel drei, wie ich’s hier ables‘?« fragte ich.
    »Sie steht«, sagte Opa, »und fertig. Und frag nicht so viel! – Uhr ganz machen, so ein Quatsch.« »Aber . . .«
    »Nichts da, Schluss! Kinderwille ist dreckswert!«
    Oh, den Satz hab’ ich mir behalten, der saß sozusagen. Für eine quengelnde Frage, voller Ungeduld, und Probieren, wie weit man gehen kann, bekam ich eine, wie ich heute weiß, völlig unangemessene Reaktion: »Kinderwille ist dreckswert.« Das können Sätze sein, aus denen dann fette Depressionen wachsen oder Schwermut. Ja, man fasst dann später im jugendlichen Alter schwer Mut, zu fragen, zu drängeln nach der Weisheit letztem Schluss.
    Dann starb mein Opa, und er brauchte nun endgültig nie wieder zu arbeiten. Ab 50 war Opa Otto zu Hause gewesen und wollte nur noch »seine Ruhe haben«. Ich habe nie versucht, herauszubekommen, wie er es angestellt hat, dem Aufbau des Sozialismus fernzubleiben, ihm sozusagen den Rücken zu kehren – im eignen Land, und zwar ganz offiziell. Mehr noch, er bekam ja auch noch obendrein eine ausreichende Rente, um zumindest für Schweinsbraten, Klöße, Kefir und Katzes Lungenhaschee aufzukommen.
    Was hat Schwejk Otto der sozialistischen Arbeitskommission erzählt? Und er war ja sogar aus der BRD wieder zurückgekommen. Ja, ja, ja, Opa war im Westen . . . abgehauen und dann wieder zurück in die DDR. Anfang der 60-er. Nun schimpfte er auf den Westen, und ich hatte das Gefühl, einzig in der autonomen Gebirgsrepublik Suhl fand er Zuflucht, Unterschlupf, kurz, er durfte für den Rest des Lebens in Thüringen sein Dasein fristen.
    Warum kam Otto zurück? Brauchte er womöglich deshalb nicht zu arbeiten in der DDR, weil er einer von den 100.000
war, die zurückkehrten in den Osten? Oder umgekehrt: War das Arbeiten im Westen zu hart und zu anstrengend, und ging er deshalb heimwärts nach Thüringen, wo der Sozialismus »siechte«? Ja, er siechte dahin, auch weil mein Opa Otto so arbeitsscheu war, das aber geschickt zu verbergen wusste. Trug er so zum schnelleren Fall der Mauer bei? Oder war Opa Otto wirklich ernsthaft krank, hatte womöglich kaputte Nieren, wovon ganze Katzendynastien kündeten, die er sich um den mächtigen Leib schnürte.
    Ich weiß es nicht.
    »Hoffnung«? Um Hoffnung geht es nicht nur in Schillers Gedicht.
    Der Junge im D 912 hofft sehnlichst, dass der Vater kommt und Fips mitbringt und dass er nicht allein zurückgelassen wird.
    Die Großmutter hofft auf Ruhe und Frieden im Haus, und mit Opa gemeinsam hofft sie, dass die Türschwellen nicht noch mehr zerstört werden.
    Der Opa hegt die Hoffnung, dass man seine Spickkünste lobt, auch dass der Junge den Wald verstehen lernt und dass ihm ja keine unbequemen Fragen gestellt werden.
    Ja, und ich hoffe, dass Oma und Opa im Himmel sind, was ja bei Opa durchaus nicht so selbstverständlich ist – wegen seines Jähzorns und seiner antisozialistischen Arbeitshaltung. Und wenn der Herrgott in seiner Gnade den Opa in den Himmel aufgenommen hat, dann hoffe ich mal, dass es dort im Bedarfsfall auch Katzenfelle gibt.
     
    PS: Bezug nehmend auf den ersten Teil der Geschichte, also auf beschriebene Phänomene unserer Gegenwart: Wäre der Opa noch am Leben, hätte er in Abänderung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit gesagt: »Menschenwürde? Die Würde des Menschen ist
in dieser Gesellschaft dreckswert, Jüngle!« Dem Opa durfte man nicht widersprechen, und wo er Recht hat, hat er Recht.
    Ist also derjenige ein hoffnungsloser Fall, der trotzdem die Hoffnung auf ein besseres, ein würdiges Miteinander, nicht aufgibt? Berufen wir uns auf den Dichter, der uns dazu ermutigt, wenn er sagt:
    »… zu was Besserem sind wir geboren.«

Lerne Schweigen, ohne zu platzen!
    »Lerne Schweigen, ohne zu platzen!« – Das Dritte Sächsische Gebot. Sie erinnern sich: Dieser Satz hing bei uns über dem Küchentisch in Dresden-Alttrachau, dem Gegenentwurf zum Weißen Hirsch. Ja, liebe Leser, ich weiß, dass Sie das schon mal gelesen haben, aber manche Dinge kann man nicht oft genug wiederholen.
    Manchmal saßen meine Mutti und ich am Küchentisch, und links über der Wachstuchdecke oberhalb der gelben Ölsockelwand, genau: der mit dem schief gezogenen kasslerbraunen Strich, da hing dies Sprüchlein. Für mich kleinen Jungen hieß das: Nicht wegrühren vom Fleck, bleib ganz ruhig, harre aus, geduldig! Und genau das machte mich wütend, weil ich überhaupt nicht verstand,

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