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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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die dunkelbraune Holztür, die mit einem Eisenbahngeräusch schloss, ja »Eisenbahngeräusch« – da bestehe ich drauf. Immer, wenn diese gewaltige Tür aufging, entwich Luft aus ihr. Oben war eine Art Bremse eingebaut, die die Tür sanft zuschlagen ließ. Wie eine Dampflok klang meine dunkelbraune Tür zur Welt.
    Draußen auf der Straße war die Welt, meine Welt. Bis dahin lief ich jedoch erst durch das stuckbeköpfte Haus wie durch das Abteil eines alten, schönen Zuges, und wenn ich kräftig an der Tür zog, öffnete sich die Tür zur Welt und die Türbremse rief leise: »Gib Acht. Komm’ nicht unter die Räder. Lauf nicht zu schnell auf die Straße!«
    Die allergrößte Angst auf diesem Weg zur Welt, der durch mein schönes Zugabteil führte, hatte ich vor einem Schild: »Bei Gasgeruch muss Hilfe her!« Ein gefährliches Schild mit einer Schlange darauf und der Kernbotschaft: Hüte dich vor der Gasschlange! Eine Schlange ist ja ohnehin schon gefährlich. Wie gefährlich musste erst die Gasschlange sein! Mein Gott! Woher kommt sie? Kriecht sie durch die Gasleitung? Blau züngelnd konnte sie sich womöglich aus dem Gasherd schlängeln, und wenn dann das Streichholz nicht rechtzeitig genug zündete?!
    Die abgebrannten Streichhölzer wurden gesammelt und verkehrt herum in die Streichholzschachtel gesteckt. Zehn volle Schachteln mit abgebrannten Streichhölzern ergaben zusammengebunden ein Holzscheit. Eine Extrabeigabe für den Glutos-Beistellherd.
    So sparte meine Schneeweiß-Oma noch im Jahre 1973.
    Das war die Zeit, als Angela Davis in Berlin bei den Weltfestspielen umjubelt und Walter Ulbricht gerade auf Eis gelegt wurde.
    Und die Gasuhr meiner Oma lief nur, wenn sie materiell versorgt wurde mit Groschen. Ohne Groschen kein Gas.
    Ohne Groschen gab es auch keine Kuchenränder vom Kleckselkuchen beim Bäckermeister Pötschke in Trachau. Wenn ich mich am Bäckerfenster hochstemmte, hatte ich immer zwei Groschen dabei. Zwei Tüten Kuchenränder gab es dann dafür. Von einer Tüte wurde ich nicht satt, und außerdem konnte ich mit den restlichen Kuchenrändern »kaupeln«. (Tauschen natürlich!)
    Durcheinander gepackt wurden die Kuchenränder vom Bäckermeister nicht. Das kam gar nicht in die Tüte. Entweder Mohnkuchen und Eierschecke oder Kokos und Klecksel. Für zwei Groschen herrschte ich über die Welt des Kuchens. Kuchenränder, meist noch warm, schmeckten immer besser als ganze Stücke, für die man vorne in den Laden musste wie die anderen gewöhnlichen Trachauer.
    Der Duft von der Bäckerei steckt mir heute noch in der Nase. Ein Duft von Pudding und Vanille durchzog das Gehirn. Ließ das Gehirn weit werden und die verfluchten »Amerikaner« vergessen, die allzu teuer vorn im Laden hockten. Amerikaner in Dresden! Zuckerüberzogene Rundteile, leicht gewölbt und mehr oder weniger nach nichts schmeckend. Schmeckten mir einfach nicht, die Amerikaner, ist auch heute noch so.
    Ich weiß jetzt, was es bedeutete, wenn Bäckermeister Pötschke von »Geschmacksbildung« sprach. Warum der Bäcker trotzdem die Amerikaner buk, bleibt wohl sein Geheimnis. Am Hang zur Internationalität kann es nicht gelegen haben, obwohl . . . ja, doch: Es gab weiße Amerikaner und
dunkle. Die dunklen schmeckten. Das waren die mit Schokoüberzug. Schwarz oder weiß? Die Frage wurde beim Bäckermeister entschieden. Und Uwe war immer für die Guten. Und die Guten waren schwarz. In Trachau gab’s zur damaligen Zeit überhaupt nur gute Schwarze.

»Du musst noch etwas über Jesus Christus schreiben«
    »Du musst noch etwas über Jesus Christus schreiben!« »Warum?« »Na, weil dessen Name doch im Buchtitel vorkommt.« Eigentlich war ja schon einige Male von ihm die Rede in den Geschichten, aber es stimmt: nicht ausführlich und auch nicht als eigentliches Thema.
    Jesus Christus, sein göttlicher Vater und der Heilige Geist waren für uns in der DDR nicht im Programm vorgesehen. In der Schule wurde kaum darüber gesprochen und bei mir zu Hause auch nicht. Ich hatte auch keinen Religionsunterricht. Für ganz wenige nur gab es eine Konfirmation bzw. Kommunion; an deren Stelle war die sozialistische Jugendweihe getreten mit fast 100-prozentiger Teilnahme der 14-jährigen Schüler.
    Über den Jesus am Kreuz oder den Heiligen Sebastian auf den Bildern in der Gemäldegalerie konnte ich mich nur erschrecken und wundern. Es gab Jugendliche, die Mitglied der Jungen Gemeinde waren. Verboten war das nicht, aber auch nicht erwünscht, ebenso wenig wie

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