Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
Vom Netzwerk:
Bild, der Stein! In meiner Fantasie besaßen wir zu Hause einen grünen Diamanten, und der lag in Muttis Nachtschränkchen.
    Ja, ja, die Fantasie. Ich sprach anfangs davon. Meine Mutti erzählte mir seinerzeit, dass mein Opa, Martin Schneeweiss, sogar 1. Kammerdiener im Schloss Übigau war. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Ich, damals noch nicht Jungpionier, und hatte schon Vorfahren bei Hofe! Was würde Walter Ulbricht dazu sagen? So hieß unser König 1967. Aber das wusste ich damals noch nicht. Die Liebe zum Dresdner Grünen wurde mir buchstäblich in die Wiege gelegt. So, genug aus dem Nachtschrank geplaudert. Der Kirschkern ruft:
    »Kaiser Karl konnte keene Kümmelkörner kauen, aber Käsekuchen konnte er katschen.«
    Ob er och knackige Kirschkerne knacken konnte, wissen wir nicht.
    Der berühmte Dresdner »Kirschkern mit den 185 Angesichtern« ist eine einzigartige Pretiose.
    Er hat keine 400 000 Taler gekostet; er war das Geschenk eines Reichspfennigmeisters.
    Ja, diesen Beruf gab es 1589. Christoph von Loos aus Pillnitz verehrte dies weltliche Kleinod seinem Kurfürsten. Kostbar wurde der Kirschkern, weil über 100 Köpfe sich auf ihm versammelten. Diese Kunstfertigkeit erhob ihn in den Rang eines menschlichen Wunderwerkes, und sogleich brachte man den Kirschkern in die Kunstkammer.
    Christoph von Loos kannte als Oberpfennigfuchser die Stempelschneider. Von ihnen ließ er den Kern unter die Lupe nehmen und das Lustgeschenk friemeln.
    Man sagt, es heißt, … es heißt, man sagt: Auch ein Pfefferkorn habe Loos für seinen Fürsten schnitzen lassen.
    Dies sei aber im Laufe der Jahre verlustig gegangen, vermutlich zusammen mit einem Haar. In einer Suppe. Eine geniale Idee: Schmuck aus Abfall zu zaubern.
    Sie sehen also im Grünen Gewölbe den vermutlich wertvollsten Holzkern der Welt. Gebastelt zu einem Ohrring, der nie getragen wurde, ist er ein schönes Beispiel sächsischen Einfallsreichtums.
    Wir gehen noch einmal ins Juwelenzimmer. Gewiss, es gibt auch ein Bronzezimmer. Ein Elfenbein- und Weißsilberzimmer, den Pretiosensaal natürlich, und unbedingt muss auch das Bernsteinkabinett Erwähnung finden. Allein, es ist der Glanz! Das Funkeln von Rubinen, Saphiren, Smaragden und Diamanten, das zieht mich immer wieder ins Allerheiligste. Das erste Mal, also beim Anblick der Hofdegen aus der Achat-Garnitur  – da, da, da wäre ich fast dem Stendhal-Syndrom verfallen.
    Das Stendhal-Syndrom bezeichnet eine Art Schockzustand mit Schüttelreflexen, benannt nach dem großen Dichter. Erstmals diagnostiziert, als Stendhal Florenz erblickte und vor so viel Anhäufung von Kunst in eine Art Kulturschock verfiel.
    Ich liebe die Degen. Sie sind so zierlich, dabei stabil und kostbar. Es sind Prunkwaffen allererster Güte. Als gelernter Schmied weiß ich natürlich, was es bedeutet, eine Damaszenerklinge auszuziehen. Dabei wird der Stahl im glühenden Zustand bis zu 300-mal auf dem Amboss gefaltet. Dabei werden eine hohe Härte und Festigkeit erzielt. Da rostet nix mehr, weil: Der Kohlenstoff wird dabei ganz eng ineinander verbacken und alles bis zum Kern durchgeschmiedet. Samuraischwerte werden ähnlich gefaltet. Eine einzige Werkstatt in Deutschland beherrscht heute noch diese Schmiedekunst. Wir fliegen inzwischen zum Mars, aber wie man eine Klinge auszieht, haben wir verlernt. Ich fürchte, dass wir später in zehn Jahren an einer Universität einen Lehrstuhl für Kunstschmieden
einrichten müssen. Na, besser spät als gar nicht. Steht ja auch hier auf der Degenscheide drauf: »Wenn das Schicksal mich ängstigt, macht die Hoffnung mich froh.«
    Mit dieser wundervollen Klingenätzung wertete Dinglinger den Degen zur Prunkwaffe auf. Überhaupt ist das Ganze eine Augenweide. Der Kopf, der Handbügel und die Parierstange bestehen aus weißem Achat. Aus bräunlichem Achat wurde der kostbare kompakte Griff gezaubert, alles harmonisch aufeinander abgestimmt, die Materialien gleiten ineinander. Ein unbekannter Dresdner Steinschneider verpasste dem Bügel und der Parierstange diesen filigranen Umriss.
    So wirkt der Achat fast durchschaubar. Als Prunkwaffe stand sie dem König zur Repräsentation zur Verfügung, schmückte als Zeichen seines Ranges den Träger. Der Griff von Dinglinger ist mit fünfeinhalb Windungen rot florierter Diamantenrosen ausgefasst. Das müssen Sie erst einmal verdauen. Der Griff wirkt so elegant, so formvollendet, dass er scheinbar schwebt. Das Tragen einer solchen Waffe forderte Geschicklichkeit und

Weitere Kostenlose Bücher