Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
Kriege.
Als ich ein kleiner Junge war, da war mein Dresden herrlich leer. Wir waren unter uns, hatten unsere Ruhe, und es gab noch wirklich echte Gaslaternen. Mit diesem besonders weichen »Dresdner Funzellicht«. Es gab sogar Laternenanzünder. Das war ein richtiger Beruf. Männer auf dem Fahrrad zogen mit ihrem Stab an einem Ring in der Laterne. Und
schwuppdiwupp ging die Funzel aus. Und abends wieder an. Man konnte die Uhr nach der Laterne stellen, so regelmäßig kamen die. Und einen sah ich, der stieg nicht einmal ab von seinem Fahrrad.
Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich auch Laternenanzünder werden.
Geduldsspiele
»Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielen kann.« Dieser Satz von Friedrich Schiller fiel mir doch prompt ein, als ich im Grünen Gewölbe zum ersten Mal vor dem Lieblingsspielzeug unseres August des Starken stand, einem teuren Spielzeug mit dem Titel: »Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb«.
August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, ließ dies Kleinod, besser »Großod« im Wert von 58 485 Reichstalern von seinem Hofgoldschmied und Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger in 7-jähriger Kleinarbeit kunstfertigen. Ein Spielzeug zeugt vom Spiel, jawohl, denn war es nicht Dinglinger selbst, der den Allerdurchlauchtesten umgarnte mit einer Kostbarkeit, wie sie noch niemals gesehen wurde und wie sie auch niemals wieder gefertigt werden wird (so die Annalen).
Gier in Form von Neugier hatte Augusts Herz entflammt. Denn natürlich drang auch an den sächsischen Hof die Kunde von einem brutalen und absolutistischen Herrscher im fernen Indien, der seinem Geburtstag tagelang entgegenfieberte. Ja, er fieberte. Natürlich, was glauben Sie denn, wie lange der indische Zeb sein golddurchwirktes Kissen breit gesessen haben musste, bis er endlich 5 223 Diamanten, zwei Elefanten, 189 Rubine und 175 Smaragde sein Eigen nennen durfte. Tagelang Geburtstag feiern, das ist – Entschuldigung – auch für einen indischen Arsch eine Zumutung. Aber, und das ist das eigentliche Kunststück: Der Großmogul verzieht keine Miene. Aureng Zeb – von A bis Z ein Vorbild für unseren August, der zwar gewohnt war, Kriege zu verlieren, aber keine Kissenschlachten. Schauen Sie bitte noch genauer hin beim
liebevollen Betrachten des Hofstaates! Dinglinger schob Aureng Zeb ein viertes Kissen unter . . . Prädikat: besonders liebevoll. Ich sag’s ja, und Sie, verehrte Leser/innen, sind nun eingeweiht in das erste Geheimnis der Geschichte hinter der Geschichte.
Und damit sind wir schon mittendrin in der Beschreibung des Gesehenen, und was sehen wir? Wir alle stehen staunend vor dieser Puppenstube des Königs und sehen vermeintlich das gleiche Bild, eine Geburtstagsfeier. Aber was da im Eigentlichen abgeht? Wissen Sie es? Ich kann Ihnen ja mal beschreiben, was ich sehe: Ganz vorn, am Anfang unserer 1,5 m 2 großen Betrachtungsfläche, sehen wir eine Waage, mannsgroß, auf der in Gold und Silber abgewogen wird, wie schnell man seine Geburtstagsgeschenke loswerden kann. Der Herrscher entscheidet: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? Nein, nein, der Großmogul bekommt davon gar nichts mit. Seine Visiere wägen ab. Wer viel spendet, darf nach gefühlten sechs Stunden sein Geburtstagsgeschenk überreichen, der »Rest« hinten anstellen. Ja, ja, auch damals war Zeit Geld, äh Gold. Wenn Sie mich fragen, so sehen wir hier eine ganz besonders clevere Form der doppelten Buchführung. Nur wer spendet, darf dann auch schenken. Die Staatlichen Kunstsammlungen empfehlen unserem sächsischen Finanzminister dringend einen Besuch im Neuen Grünen Gewölbe ob des Kunstkniffes zum käuflichen Erwerb von Geschenken. Oder war die riesige mannshohe Waage wirklich dazu auserkoren, ein jedes Geschenk für Aureng nach dessen Lebensgewicht zu bemessen? So jedenfalls wird es gern dem Volk erzählt, und dem Volk wird viel erzählt … Stammt daher auch der Spruch, den der indische Volksmund prägte: »Der Mann muss in Gold aufgewogen werden«?
Auf jeden Fall war diese Geburtstagsfeier »eine Tortur«, wie der Sachse sagt. All die Würdenträger, Maharadschas und
Edelleute, all die Visiere hatten nur Edelsteine im Visier. Fünf Tage feiern, fünf Tage und fünf Nächte ewig lächelnd da hocken . . . Ich sag’s Ihnen ganz ehrlich, für mich wär’s nüscht. Der reichste Mann der Welt war doch am Ende arm dran. Aber er könnte ja och gerne nunter von seinem Thron.
Als Kind hatte ich die
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