Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
Vom Netzwerk:
züngelnden Elfenbeinflammen neben ihm wirken erfroren. Sie erreichen nicht sein Herz.
    Sommer und Frühling erschließen Sie sich bitte selbst!
    Faszinierend ist die hohe Fingerfertigkeit des Kunsthandwerkers Permoser. Der tanzende Herbst scheint bunt, obwohl er doch aus milchig grauem Elfenbein ist. Das muss man erst mal schnitzen. Letzte Anmerkung zum Elfenbeinzimmer: Zwei Elefantenherden wurden hier verschnitzt.
    Die fünf Prunkgefäße aus Zöblitzer Serpentinit – silbervergoldet  – aus dem Jahre 1587 müssen noch gewürdigt werden. Sie waren schlicht und ergreifend königliche Humpen. Wer an Schrankwand denkt, denkt richtig. Nichts gegen unseren sächsischen Serpentinit, den Schlangenstein. Die Säulen unserer Semperoper wurden aus ihm gehauen. So ungefähr stellen Sie sich bitte auch die Humpen vor. Dickbäuchig, nach oben zylindrisch verjüngt, klumpen sie nun schon über 400 Jahre in der Schatzkammer. Also, ehrlich gestanden und unter uns: Mir persönlich gefallen sie überhaupt nicht. Meine
Mutti hätte gesagt: »Hübsch hässlich.« Im Grünen Gewölbe aber bilden sie ein »faszinierend schönes Ensemble«, also ein Juwel, diese Humpen. Und warum? Weil ein gewisser Urban Schneeweiss, Goldschmied in Dresden, diese Teile bearbeitete. Schneeweiss? Der Name kommt uns doch bekannt vor!?
    Meine Mutti hieß vor ihrer Hochzeit Schneeweiss. Schneeweiss mit Doppel-s wie bei Herrn Urban. Wie viele Menschen lebten 1580 in Dresden? 15 000. Das kann doch nicht war sein! Nein: Das muss wahr sein!
    Es gibt keine Zufälle. Mein Ur-Ur- Ur-…Urgroßvater, also einer von unserer Sippe, hat diese unvergleichliche Kostbarkeit geschaffen. Meine Humpen! Formvollendet blinzeln sie mich an, diese elegant und anmutig wirkenden Trinkgefäße der Renaissance. Schauen Sie nur, wie fein ziseliert die silbervergoldeten Standringe prangen! Maureskenornamente zieren die wohlproportionierten Behältnisse des Fürsten. Und für die durften wir arbeiten. Ich erkenne zweifelsfrei die Schneeweiss’sche Handschrift. Nie sah ich schönere Humpen. Tief befriedigt über meinen Meinungswechsel nehme ich Abschied von meinen Vorfahren.
    Der »Mohr mit Smaragdstufe«: Ach, wie niedlich das klingt, fast unschuldig. Ganz korrekt müsste man heute sagen: »Darstellung eines farbigen Menschen mit einer Smaragdstufe«. Heute wie damals jubeln die Meisten schon am Eingang: »Der Mohr ist Kult, der Mohr ist Kult!« Er ist so great, wie er da steht. Und wie er lacht! »Hildegard, siehst du, dass er lacht, der schwarze Kerl?« Irgendwie putzig. So lustig. Und was er für weiße Zähne hat! Von wegen Sklaverei! Der trägt Fesseln aus Gold um seine Fesseln. Unser Mohr. »Du, Hildegard, solche Schmuckfesseln hätte ich auch gern. Sieh nur, auf seinem Kopf trägt er eine Goldkrone mit Rubinen! Na, wo gibt’s denn so was? Ein Sklave wie ein König. Also, so schlimm kann das nicht gewesen sein zur Zeit der Barbarei. Lächelnd hält er das
Tablett mit Smaragden und schau nur: unbearbeitet.« »Du meinst, als wollte er sagen: ›Macht was draus, Ihr Herren Permoser und Dillinger. Macht endlich Neger mit Köpfen!‹«
    Niemand würde so reden. Niemals! Nie! Denn seit dem Barock, seit dem Feudalabsolutismus des Augustinischen Zeitalters, zog man aus, um auf das Schicksal der werktätigen Menschen Afrikas hinzuweisen. Und ich selbst sah im Grünen Gewölbe Schwarzafrikaner, staunend vor dem Mohr stehend, sagen: »Schlimm, schlimm sind diese Europäer. Sie können nicht einmal einen Schwarzen von einem Indianer unterscheiden. Aber ansonsten eine tolle Arbeit!« Die Smaragdstufe erhielt Kurfürst August im Jahre 1581 als Geschenk des Kaisers Rudolf II. anstelle eines Rentiers. Ich gebe zu, auch mich fasziniert der Anblick des muskulösen Mannes. Hier passt alles und nichts zusammen. Schaurig schön! Ich möchte meinen Mohren behalten.
    Und hoffentlich finden wir den Kerl mit der Smaragdstufe in zehn Jahren weder bei Sotheby’s, noch bei Christie’s, weil die Wettiner mal gerade wieder pleite sind oder Geld brauchen. Ich wünsche mir, dass die barocke Schatzkammer August des Starken für jedermann und für alle Zeit immer zugänglich bleibt. Das Grüne Gewölbe ist sächsisches Nationaleigentum. Alle sollen sehen, welch unermessliche Reichtümer ein … Verrückter zusammentragen konnte. Jawohl, August der Starke war verrückt. Nach Kunst. Als Kultur prägender Sammler allerersten Ranges suchte unser August letztendlich nur Trost – für die vielen verlorenen

Weitere Kostenlose Bücher