Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
»dladdaradatsch«. Die »Demse« gibt’s oh. Es gibt einfach alles in Dresden.
Ä richtscher Dresdner ist immer dialektisch. Wieder ein D! Er ist stolz und demütig, zärtlich und derb, schüchtern und draufgängerisch, genial und dumm, aufbrausend und dann wieder friedlich, aber nie »irgendwie«.
Ä richtscher Dresdener is unverstellt, offen, kämpft ohne Visier, aber mit Vision.
Er gibt sich stets zu erkennen, schon mit seinem Dialekt, dem »feinen Dresdner Sächsisch«, und denkt gar ni dran, sich in irgendeiner Weise anzupassen, wenn er ni hundertprozentig von einer Sache überzeugt ist.
Und der Dresdner lässt sich gerne überzeugen, am liebsten jeden Tag neu.
Wo andere Volksstämme über eine Haltung verfügen, hat der Dresdner sich eine Meinung gebildet, und zwar zu allem, unverrückbar, und die wechselt jeden Tag. Das is ni beese (böse) gemeint, das is einfach so, weil mer kann sich ni entscheiden. Das is der Punkt.
»Naja … Nee … Nu! Das könnte och über der ganzen Stadt stehen. Das ist erstens ein vollständiger Satz, und zweitens drückt er bestens das Wesen des Dresdners aus: Der ist immer ein Zweifler, aber kein Verzweifelnder.
Es zerruppt den Dresdner, wenn er sich entscheiden soll: »Weiß dor och ne … momentan.«
»Klar is das schön mit der Brücke, aber mer weiß ja ni, was draus wird.«
Es geht aber genauso gut andersrum:
»Kein Mensch braucht die Brücke, aber’s wär schön, wenn se da wär.«
Alles is relativ, alles möglich, alles unmöglich.
Sie treffen in Dresden off De Elbe, um mal wieder auf das D zurückzukommen, aber och off die Nachfahren von Manfred von Ardenne.
Sie sachen, das hat nischt miteinander zu tun? Stimmt ne. ’S kommt droff an, von wo aus Sie’s betrachten: Oberhalb von Loschwitz wohnte Ardenne, und die Nachfahren wohnen heute noch dort, und unterhalb fließt De Elbe. So einfach ist das!
Sie finden in Dresden Dresdner Stollen, sogar Biostollen, aber auch Spaghetti »Sophia Loren«.
Dresden – Kernland der Protestanten, der Protest-Tanten. Schuldigung: der Prodesd-Danden. Ja, ja: Da steckt das Wort »Prodesd« drin, aber aber, eben och »Danden«.
Sehn Se, da ham wer’s wieder! Alles wird weich gemacht. Die Härte fließt aus den Worten, und man geht als echdor Dresdner ökonomisch mit den Leuten äh Lauten um. Ökonomisch, stolz und reduziert. Jeder harte Konsonant bedeutet Anstrengung, ungewollt vergeudete Lebenskraft. Kleines Beispiel: Niemand in Dresden würde sagen: »Der Klaus haut dir gleich ein paar runter.«
Allein die Anstrengung! Die Kontraktion im kleinen Becken, wo die Laute gebildet werden müssten. Furchtbar, diese Kraftanstrengung! Was sagt der Dresdner?
»Der Dlaus dlatscht dir dlei bar nein off deine dlischische Dlitzer dlake. Du Deb.«
Kein harter, störender und dabei auch noch stimmloser
Konsonant erschwert das Dresdner Erdendasein. Nur weiche, mühelos erzeugte Konsonanten mit Stimme, stimmhafte Konsonanten, wie der Phonetiker sagt.
Die harten Konsonanten werden eingespart. Wirklich wichtige Kämpfe erfordert das, so die Kämpfe für die Dresdener Buchstabensuppe.
Ja, dafür kämpfen die Dresdner momentan. In dieser Suppe gibt’s keine harten Konsonanten mehr. Deshalb wird sie zum Patent angemeldet. Alles schön »babbsch«. Und damit weich. Nichma richtig durchgekocht werden muss diese. Sie ist von Hause aus weich.
Als nächstes Ziel? Kinder ohne harte Konsonanten! Ja, in der Dresdner Kinderklinik wird da dran gearbeitet. Als neulich ein Kind zu sprechen anfing, wurde es gefragt: »Na, weißt du denn auch, wie unser sächsischer Ministerpräsident heißt?«
Das Zweijährige antwortete wahrheitsgemäß: »Dor Dillich.«
Übrigens beginnt ja auch Deutschland mit D! Liebe und Weichheit, dafür stand Deutsch, unsere Muttersprache, und speziell unser schönes Sächsisch, das Hohelied des Hochdeutschen.
Ja, jetzt endlich spüren Sie, worum es mir geht beim Schmunzeln über das Dresdner Sächsisch: Um Liebe, Mitgefühl und Weichheit. Dafür stand das Deutsch, als Sächsisch noch Hochdeutsch war.
Das war lange vor meiner Zeit.
Ich wurde in Trachau geboren. Nach damaligem Hochdeutsch »Drachau«. Und welch Wunder: Es heißt ja immer noch so! Was mir wieder einmal beweist: Man muss nur lange genug altmodisch bleiben; irgendwann ist man wieder ganz modern, der Zeit voraus.
Sächsisch war Hochdeutsch bis zum Siebenjährigen Krieg. Damals überfiel Preußen grundlos Sachsen und leitete den wirtschaftlichen Niedergang
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