Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
Angewohnheit, lange auf der Toilette zu verweilen, und meine Übigauer Oma pflegte dann immer zu rufen: »Kommst Du heut oh noch ma runter vom Thron? Du sitzt doch da schon so lange wie der Großmogul.« So unmittelbar anschaulich und dialektisch wurden Dresdner Kindern der Hof, das Grüne Gewölbe, ja die indisch-sächsische Geschichte nahegebracht.
Überhaupt ist ja der sächsische Humor mit einer umwerfenden, mit nichts zu vergleichenden Logik durchzogen, die es allenfalls noch im Jiddischen gibt. Neulich sah ich bei einem Antiquitätenhändler zwei uralte Meissner Scherbel aus der Nach-Marcolinizeit, allerdings 3. Wahl. Hübsch, aber och ah bissel schlambsch alt, »verzeichnete« doch der Künstler den ein’ oder andern Schoppen Wein im »Auftrag«. Und so sagte ich unumwunden: »800 Euro für das bissel Zeugs? . . . Also ne.« Woraufhin der Händler in aller sächsischer Gemütsruhe antwortete: »Herr Steimle, für das Geld möchte ich’s ni malen.« Das ist sächsische Dialektik.
Apropos Porzellan: Unser Meissner, erfunden übrigens in Dresden, um noch einmal die sächsische Dialektik zu bemühen, also unser Meißner Porzellan erblickte erst 1708 das Licht der Welt. Da war Dinglingers Bruder mit der Emaillierkunst der Figuren schon ein Jahr »ferdsch«.
Die Figuren sind aus reinstem Dukatengold, der ganze Körper sozusagen goldbeseelt und damit aufgewogen, Aureng Zeb ebenbürtig. Der ganze Kosmos, das Wissen der Welt, spiegelt sich in jener Geburtstagsfeier des Großmoguls, und die beiden Schwurhände, goldig im Kern und ebenfalls fettdurchemailliert,
zeugen von der Liebe zwischen Sonne und Mond. Der Mond, der nachts die Sonne anhimmelt, scheint golden. Ja, aber was ist das für ein Gold! Schauen Sie, ein warmes . . . verliebtes, nein, schüchternes Gold. Oh ja, ein Rotgold! Sie müssen nur lange aufmerksam schauen, dann können auch Sie das alles sehen in Augusts »Fernseher«. Ein Reich, in dem die Sonne nie untergeht. Alle europäischen Herrscher des Barocks träumten wie unser Kurfürst davon, und der hatte mit dem Kauf der polnischen Krone 1697 ein solches. Aber ja! Bis Litauen reichte Sachsen. Tja, wie gesagt, es war einmal, das Reich.
Das Reich war jetzt arm dran, und so träumte der starke August, schwach geworden, von seiner eigens für ihn und ganz besonders extra angefertigten Puppenstube. Wenigstens in seiner Phantasie sah er sich als sächsischer Aureng Zeb. Ganze Nächte hindurch spielte er, zählte und verzählte sich bei seinen Diamanten. Hatte Dinglinger nicht von 5 223 Edelsteinen gesprochen, die er ihm zu Ehren verbastelte in Elefant, Kamel und Co.?
Einmal, es war schon weit nach Mitternacht, kam August auf die doppelte Anzahl von Steinen . . . War dies dem Genuss seines Lieblingstraminers geschuldet, oder ließ der doch noch unverhoffte Sieg im Nordischen Krieg seine Steine verdoppeln?
Die Cosel hatte ihn gewarnt. Für ein solches Spielzeug, und nichts anderes war die »Geburtstagsfeier des Großmoguls«, bekommt man – »also ich bekomme dafür Pillnitz.«
»Du meinst das Rittergut?« »Gewiss!« Gekauft! Gut gekauft, gern gekauft, das war schon immer der Wettiner Devise.
Sachsen verehrte die Minnesänger und August besonders Walther von der Vogelweide. Deshalb bekam Hofjuwelier Dinglinger den Auftrag, den wohl berühmtesten Spruch der Minnesängerzeit sinnlich zu verarbeiten: »Ich sitz off ene Stene und decke Ben mit Bene.« Na, worauf sitzt Aureng Zeb?
Auf einem 4 000 Reichstaler wertvollen Diamanten. August, inzwischen katholisch geworden, huldigte somit spielerisch noch immer seiner Grundüberzeugung: Der größte indische Edelstein wird gleichsam bewacht vom Herrscher, und über ihm strahlt nur noch, im selben Farbton übrigens wie der Gold-Diamant, die Sonne.
Herrscher, Diamant und Goldsonne bilden eine Dreieinigkeit.
Eigentlich sehen wir drei Sonnen strahlen um die Wette, um die Kunst. Dinglinger: Juwelier, Philosoph und Psychologe. Wo gibt es so etwas heute noch? Dinglinger, Augusts genialer Therapeut, verkaufte ihm . . . ja, seine Seele. In einem Spielzeug, größer geht es nicht. Wozu das menschliche Hirn fähig sein kann, wenn es nur Ruhe atmen darf, zeigt uns exemplarisch der Geburtstag des Großmogul. Noch mal ganz langsam und zum Mitschreiben: sieben Jahre Fertigungszeit für eine 5-tägige Geburtstagsfeier. Neben Johann Melchior Dinglinger waren seine Brüder beteiligt, einer als Emailleur, der andere als Juwelier, außerdem zwölf weitere Gehilfen. 137
Weitere Kostenlose Bücher