Meine Reise in die Welt der Gewuerze
kennen, und definierte Gesundheit als Zustand physischer Ausgeglichenheit. Krankheit ist im Umkehrschluss also nichts anderes als eine Unausgeglichenheit. Die entscheidenden Faktoren für Harmonie und Disharmonie sind nach Alkmaion die sogenannten Primärqualitäten, die beiden Gegensatzpaare warm–kalt und feucht–trocken. Sie sollen sich möglichst immer im Gleichgewicht befinden.
Hippokrates, der berühmteste Arzt der Antike, entwickelte die Ideen des Alkmaion weiter. Er lehrte im späten 5. und frühen 4. Jahrhundert auf der Insel Kos, ist der Verfasser des berühmten hippokratischen Ärzteeids und wurde zum Vater der sogenannten Viersäftelehre. Der Mensch hat nach der Definition von Hippokrates und seinen Schülern vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle –, die mit vier Elementen und vier Organen korrespondieren. Wenn die vier Säfte im Gleichgewicht sind, ist man gesund. Sind die Körpersäfte nicht mehr ausgewogen, versucht man, sie mithilfe von Medizin, also Gewürzen und Kräutern, wieder zu harmonisieren. Dabei trennten die Griechen – ganz im Gegensatz zu unseren modernen Gesellschaften – Medizin und Ernährung nicht. Das wäre für sie ein absurder Gedanken gewesen. Stattdessen verknüpften sie selbstverständlich beides. Hippokrates sagte es so einfach wie einleuchtend: »Dein Arzneimittel sei dein Lebensmittel, und dein Lebensmittel dein Arzneimittel.«
So weit die Theorie. Ein wichtiger Schritt für die praktische Anwendung fehlte aber noch – und kein Geringerer als Aristoteles vollzog ihn: Er erhob im 4. Jahrhundert vor Christus die Botanik in den Rang einer Wissenschaft und bereitete damit der systematischen Beschäftigung mit der Heilwirkung von Kräutern und Gewürzen den Weg. Sein Schüler Theophrast von Eresos übernahm von ihm die Leitung der legendären Athener Philosophenschule, beschrieb in seinem Hauptwerk »Die Geschichte der Pflanzen« deren heilende Wirkung und wurde damit zum Begründer der Botanik. Das dadurch gewonnene Wissen war unverzichtbar für die gesamte antike Ärzteschaft.
Die Lehre der vier Säfte sollte 2000 Jahre lang die Medizin und das wissenschaftliche Denken in Europa bestimmen. Einen wesentlichen Anteil daran hatte Dioskurides, einer der einflussreichsten Ärzte der Antike. Er verfasste im 1. Jahrhundert nach Christus mit seiner »De materia medica« ein epochales Werk, das für die nächsten anderthalb Jahrtausende das wichtigste Gewürz- und Kräuterbuch des ganzen Abendlands und Vorderen Orients sein sollte. 800 pflanzliche, 100 mineralische und 100 tierische Heilmittel beschrieb der griechische Arzt – und legte mit ihnen den Grundstein für eine systematische Therapie mit Kräutern und Gewürzen.
Dioskurides wusste wahrscheinlich mehr über die heilende Wirkung von Gewürzen und Kräutern als je ein Mensch vor ihm. Dass Bockshornklee bei Diabetes hilft, war ihm bekannt – und neuere Forschungen haben ihn zwei Jahrtausende später bestätigt. Dem Basilikum schreibt er völlig zu Recht reinigende sowie eine blähungs- und harntreibende Kraft zu. Und auch die Geheimnisse des Pfeffers, der in der »Materia medica« ausführlich behandelt wird, blieben ihm nicht verborgen, wobei er genau zwischen langem, weißem und schwarzem Pfeffer unterscheidet. Am besten zum Würzen der Speisen geeignet ist für ihn der schwarze Pfeffer, weil er süßer und schärfer, dem Magen bekömmlicher und viel würziger als der weiße Pfeffer ist. Alle Pfeffersorten haben eine erwärmende, harntreibende Wirkung, regen die Verdauung an und lösen schädliche Säfte auf. Sie fördern den Speichelfluss, die Produktion von Magensaft und die Ausscheidung der Gallenflüssigkeit. Pfeffer wird überdies als probates Mittel gegen Husten und andere Brustleiden gelobt. Tatsächlich ist heute wissenschaftlich belegt, dass er vor Erkrankungen der Atemwege schützt. Schwarzer Pfeffer beeinflusst dank seiner ätherischen Öle außerdem die Entgiftungskapazität der Leber positiv.
Genauso wichtig wie der Pfeffer war für die antiken Ärzte die aus Indien importierte Ingwerwurzel. Dioskurides befindet, dass sie als Ingredienz für fast alle Speisen ganz besonders geeignet sei. Sie habe eine erwärmende Wirkung, fördere die Verdauung und sei insgesamt gut für den Magen. Das alles ist inzwischen ebenfalls bewiesen: Ingwer steigert die Aktivität verschiedener Verdauungsenzyme. Der Scharfstoff Gingerol bekämpft zudem nicht nur Entzündungen und Ödeme,
Weitere Kostenlose Bücher