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Meine Reise in die Welt der Gewuerze

Meine Reise in die Welt der Gewuerze

Titel: Meine Reise in die Welt der Gewuerze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfons Schuhbeck
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einer der alten Transitstrecken durch das Feindesland der DDR nach Westberlin. Doch dann erscheint am Horizont Jerusalem. Wie auf einem Altar liegt die Stadt auf einem Hochplateau, so hell und strahlend, als sei sie ein Himmelsgeschenk. Ganz aus gleißendem Kalkstein ist sie errichtet und umweht von Tausenden israelischer Fahnen, damit niemand auch nur den leisesten Zweifel daran hegt, wem Jerusalem gehört.
     

    Ich rufe mir in Erinnerung, was ich im Flugzeug über diese eigenartige Stadt gelesen habe: Ein Jahrtausend lang war sie auf den Weltkarten der Mittelpunkt der Erde, die Schnittstelle zwischen Irdischem und Himmlischem in der Glaubensgeografie der Menschen. Was für ein Ort ist das, der jahrhundertelang von der halben Menschheit für sich beansprucht wurde! Seit 5000 Jahren besiedelt, vor 3000 Jahren von König David zur Hauptstadt seines Reichs erklärt, 1000 Jahre später zur Wiege der Christenheit geworden und noch einmal 600 Jahre später zu jenem Ort, an dem der Prophet Mohammed seine Reise ins Paradies antrat. Dann 1099 von den Kreuzrittern mit flammendem Schwert erobert, 88 Jahre später von Saladin grausam zurückgewonnen, und das war lange nicht das Ende.
    So viele Schändungen hat Jerusalem ertragen, so viele Vergewaltigungen erdulden, so viel Blut sehen müssen! So oft haben die siegreichen Eroberer ihrem Furor mörderischen Lauf gelassen. Und gleichzeitig war Jerusalem über viele Zeiten hinweg ein Sehnsuchtsort in der Welt der Gewürze. Die Menschen im europäischen Mittelalter stellten sich die Stadt als einen einzigen blühenden Gewürzgarten vor, als die irdische, nach Zimt und Nelken duftende Dependance des Paradieses. Und für die Kreuzritter war es mindestens genauso wichtig, mit der Siegesnachricht von der Befreiung des Grabs Jesu Christi nach Hause zurückzukehren wie mit Taschen voller Pfeffer und Muskat. Jetzt muss ich daran denken, was mir einmal ein alter Pfarrer in meiner Heimat Bayern vom Schicksal Jerusalems erzählt hat. »Der Talmud«, sagte er, »diese uralte Schrift, die den Juden den Weg zum rechten Glauben weisen soll, hat es prophezeit. Gott der Allmächtige teilte nach der Erschaffung der Erde und des Himmels alle Schönheit seiner Schöpfung in zehn gleiche Teile. Neun Teile gab er der Stadt Jerusalem und nur einen Teil der restlichen Welt. Auch alles Leid spaltete Gott in zehn Teile. Und neun Teile Trauer gab er Jerusalem, nur einen einzigen aber der übrigen Welt.« So ist es gekommen.
    Gottes Lieblingsstadt wurde zu einem der schönsten und begehrtesten Orte der Erde. Juden, Christen und Muslimen ist er so heilig, dass sie Jerusalem zur Stadt der drei Zeitrechnungen gemacht haben. Jede Religion zählt hier die Jahre auf ihre Weise – die Christen seit Jesu Geburt, die Juden seit der Erschaffung der Welt 3761 Jahre davor und die Muslime seit dem Auszug des Propheten aus Mekka 622 Jahre danach. Das gibt es nur einmal auf der Erde.
     

    Endlich ist es so weit: Ich stehe mit einem Schaudern vor dem Damaskustor, hinter dem die Altstadt beginnt, das historische Herz Jerusalems, ein vollständig mit einer mächtigen Steinmauer umgebenes Viertel extrem verdichteter Geschichte – auf einem einzigen Quadratkilometer ist hier so viel Menschheitsschicksal versammelt wie nirgendwo sonst auf dem Globus. Die Altstadt und ihre unmittelbare Umgebung sind vollgepfropft mit Namen und Plätzen, die in unserem kollektiven Gedächtnis eingebrannt sind und die auch ich seit meiner Ministrantenzeit in Oberbayern hersagen kann wie das Vaterunser: Golgota und der Garten Gethsemane, Ölberg und Berg Zion, Via Dolorosa und Klagemauer.
    Daran, dass meine Ministrantenkarriere nach einem üblen Lausbubenstreich und einem im Kirchturm eingesperrten Gottesmann abrupt endete, will ich jetzt lieber nicht denken.
    In der Altstadt wird man fast erschlagen von so vielen Gegensätzen auf so engem Raum, von dieser unfassbaren Intensität. Vier Viertel gibt es hier, ein jüdisches, ein christliches, ein muslimisches, ein armenisches, streng getrennt und doch ineinanderfließend. Und so mischt sich alles: Kirchen und Moscheen, Halbmonde und Davidsterne, Kippas und Tschadors, Kaftane und Mönchskutten, Pilger und Marktfrauen, Ikonen und Arabesken, Suren und Psalmen, Friedensbotschaften und Militärpatrouillen, siebenarmige Leuchter und tausendzüngige Öllampen, die Vollbärte von Imanen und die Vollbärte von Rabbinern, das Kreuz der Tempelritter und das Kreuz der Patriarchen, Lämmer aus Stein gemeißelt

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