Meine Reise in die Welt der Gewuerze
bestellen es mit Begeisterung.« – »Meinen Glückwunsch«, sagt Jakob, »denn Gewürze sind das Glück.«
Nach einer schönen, langen Zeit verlasse ich den Laden des guten Jakob, reich beschenkt mit den Spezereien des Orients und tief beschämt von der Großzügigkeit des Gewürzhändlers. Ich lasse mich durch die Gassen treiben wie ein Blatt im Wind, als plötzlich eine Prozession stummer Pilger mit inbrünstigen Mienen den Weg versperrt – und begreife erst jetzt, dass ich mitten auf der Via Dolorosa stehe.
Jetzt schreite ich, der gescheiterte Ministrant, selbst den Leidensweg des Gottessohns ab, vorbei an jener Station, an der Veronika mit ihrem Schleier das Gesicht des Todgeweihten trocknete; vorbei an der Station, an der Simon das Kreuz nahm und sich Jesus an einer Hauswand abstützte. Millionen Menschen haben seither diese Stelle an der Wand berührt, die davon drei Finger tief geworden ist. Auch ich mache es jetzt. Der Stein scheint zu atmen. Ich zittere. Wer in diesem Augenblick nicht ergriffen ist, hat ein steinernes Herz.
Es ist einer der wenigen Momente der Besinnung, denn die Via Dolorosa hat noch ein ganz anderes Gesicht. Sie ist ein Spießrutenlauf an Imbissbuden und Souvenirgeschäften entlang, die »Antiquitäten aus biblischer Zeit« und anderen solchen Unfug verscherbeln, an Devotionalienläden, die Jesuslatschen in allen Variationen und religiösen Schnickschnack weit jenseits der Kitschgrenze ihrer frommen Kundschaft andrehen. Den Vogel schießt ein Hologramm von Christus am Kreuze ab: Neigt man es leicht, öffnen und schließen sich die Augen des Gottessohns. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder schreien soll. Ich denke, dass Jesus heute die Händler von hier vertreiben würde, wie er es damals mit den Geldwechslern im Tempel gemacht hat. Und dann flüchte ich mich in die Grabeskirche, den Schlusspunkt der Via Dolorosa, den Nabel der Christenheit.
Ich muss gestehen, dass ich noch nie einen Ort gesehen habe, der so beeindruckend und gleichzeitig so irritierend ist. So geht es wahrscheinlich vielen in dieser Kirche, unter deren Dach alle Schlüsselstellen von Christi Tod und Auferstehung liegen – oder zumindest so arrangiert wurden: Golgota mit dem Sterbenskreuz, der Salbungsstein, die Grabgrotte. Und trotzdem ist die weihrauchschwere Grabeskirche kein Ort der Heiligkeit, sondern der Geschäftigkeit. Alle christlichen Konfessionen müssen sie sich teilen und kämpfen deswegen mit spitzen Ellenbogen um jeden Quadratzentimeter. Die Kirche ist ein römisch-katholisch-lutheranisch-armenisch-maronitisch-äthiopisch-orthodoxer Rummelplatz voller russischer Mütterchen, schwarzgewandeter Popen, ostafrikanischer Christen in blütenweißen Gewändern, abendländischer Gläubiger in kurzen Hosen mit Pilgerkreuz in der rechten und Fotohandy in der linken Hand. Sie alle halten hier ihre Messen ab, stellen sich vor der Grablege Christi in langen Schlangen an, schubsen sich gegenseitig vor dem Golgota-Altar beiseite und werfen sich mit ihrem Kopf ohne Rücksicht auf Verluste auf den Salbungsstein im Zentrum der Grabeskirche, auf dem Jesus nach seinem Tod gesalbt wurde.
Vielleicht, denke ich, würden es die Menschen gar nicht ertragen, wenn die Grabeskirche ein so mystischer Ort wäre, wie sie es eigentlich sein müsste. Vielleicht würden sie unter so viel Gottesnähe zusammenbrechen. Vielleicht wäre die Sehnsucht nach dem Himmel dann einfach zu groß.
Verstört verlasse ich diese seltsame Kirche, streife durch die Stadt, rieche zum Trost an Jakobs Gewürzgeschenken und stehe mit einem Mal vor der Klagemauer auf dem Tempelberg – dem heiligsten und zugleich traurigsten Ort des Judentums, einer unspektakulären Mauer aus Kalksteinquadern voller Gestrüpp, mit Plastikstühlen und Gebetspulten für die Gläubigen davor, die Wunschzettel an Gott in die Ritzen stecken. Und direkt dahinter ragen der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee in die Höhe, zwei der heiligsten Stätten des Islam. Schulter an Schulter treffen sich hier die Weltreligionen. Doch sie geben sich nicht die Hand, sondern haben jede ein Messer in der Faust.
Lange stehe ich vor der Mauer und versuche zu verstehen, was es heißt, dass die Juden keinen Messias, keine Kathedralen zur Gottesverherrlichung haben, sondern nur ein paar Kalksteine, das Einzige, was vom Tempel König Davids geblieben ist. Zweimal, so habe ich gelesen, ist er zerstört worden, zweimal am 9. August, als sei das der Tag von Gottes Zorn: 586 vor Christus
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