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Meine Reise in die Welt der Gewuerze

Meine Reise in die Welt der Gewuerze

Titel: Meine Reise in die Welt der Gewuerze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfons Schuhbeck
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leicht rösten. Fünfzehn Datteln werden in Rotwein eingelegt, klein geschnitten und in einem Mörser zu einer feinen Paste verrieben. Getrocknete Ingwerwurzelstücke muss man ebenfalls klein schneiden und fein pulverisieren. Dann kommen Pfeffer, Natron und Honig hinzu. Das Ergebnis ist ein verblüffendes Geschmackserlebnis, eine Komposition aus scharf, süß und sauer, die in Aussehen und Aroma an süßen bayerischen Senf erinnert und ein hervorragendes Gewürz für Grillfleisch wäre.
    Die Rezeptur ist nicht nur kulinarisch gelungen, sondern auch medizinisch von bestechender Logik: Ingwer und Kümmel sind die besten Gewürze für den Magen und wirken außerdem positiv auf die Atemwege. Die Wirkstoffe des Pfeffers schützen gleichfalls die Atemwege und fördern die Verdauung. Die Datteln haben einen hohen Anteil an Vitamin C und D sowie Vitaminen aus der B-Gruppe, die die Nerven beruhigen und den Blutdruck senken. Sie sind außerdem reich an Kalium, Kalzium, Zink, Kupfer, Eisen, Magnesium und Phosphor und begünstigen aufgrund ihres sehr hohen Ballaststoffanteils eine gute Verdauung. Der Honig macht die Mischung genießbar und für einige Wochen haltbar. Natron und Essig schließlich sorgen für die sämige Konsistenz – für das finstere Frühmittelalter offenbart dieses Rezept ein unglaubliches Raffinement.
    Die Königin der Klostermedizin sollte aber erst 300 Jahre später ihren Thron besteigen: die Äbtissin und Visionärin Hildegard von Bingen (1098 –1179), eine der einflussreichsten Frauen des Mittelalters und Verfasserin der epochalen »Physica«, in der sie die medizinischen Eigenschaften von 250 heimischen und exotischen Gewürzen, Gräsern und Kräutern beschreibt.
     

    Hildegard kannte die Prinzipien der antiken Viersäftelehre, hatte die Schriften der führenden arabischen Ärzte gelesen, ergänzte dieses Wissen um die Erkenntnisse der Volksmedizin und schuf daraus ein völlig eigenständiges medizinisches System. Dass eine gute und kluge Ernährung zwangsläufig zu einer guten Gesundheit führt, war eine der Maximen ihres Denkens. Die andere, daraus resultierende, war die Eigenverantwortung des Menschen für sein Wohl, die Hildegard weit höher bewertete als die vielen Vorschriften der Kirche. Wegen dieser Lebenshaltung ist Hildegard von Bingen auch nach fast tausend Jahren noch hochaktuell. Ihre Rezepte sind von beeindruckender Klarheit, mystischer Budenzauber hat dort nichts verloren: »Gegen Lungenübel: Man nimmt Galgant und Fenchel zu gleichen Teilen und zweimal so viel Muskatnuss.« Oder: »Gegen Verrücktheit: Man nehme Muskatnuss und zweimal so viel Galgant, pulverisiere dies, nehme zu gleichen Teilen Gladiolen- und Wegerichwurzel ... Aus all diesem und Weizenmehl und Wasser bereite man eine dünne Suppe und gebe sie dem Kranken zu trinken.« Galgant war zusammen mit Pfeffer und Bockshornklee außerdem gut gegen Herzleiden. Und eine hervorragende Köchin war die Äbtissin obendrein. So empfahl sie, Petersilie auf keinen Fall mitzukochen, sondern erst ganz zum Schluss dazugeben – so macht das heute jeder anständige Koch. Generell legte sie ihren Mitmenschen magenfreundliche und verdauungsfördernde Kräuter aus dem heimischen Garten wie Salbei, Kümmel oder Dill ans Herz. Doch sie kannte sich genauso gut mit exotischen Gewürzen wie Zimt, Muskatnuss oder Süßholz aus.
    Ganz gleich ob »Lungenübel« oder »Verrücktheit«: Die Gewürze spielen in der Heilkunde Hildegard von Bingens bei physischen wie bei psychischen Problemen eine zentrale Rolle – und sie lag damit nach modernen wissenschaftlichen Standards vollkommen richtig. So empfahl sie bei Niedergeschlagenheit eine Mischung aus Muskatnuss, Ceylonzimt und Gewürznelken. Über die Muskatnuss schreibt die Äbtissin, dass sie das Herz öffnet, den Sinn reinigt und einen guten Verstand bereitet. Tatsächlich hat die Muskatnuss eine psychoaktive Wirkung, hilft aber genauso bei Verdauungsschwäche sowie Leber- und Gallenbeschwerden. Das ätherische Öl des Zimts sorgt für eine verbesserte Durchblutung der Magenschleimhaut, wirkt krampflösend und aktiviert die Verdauungsdrüsen, was ebenfalls zu einem größeren Wohlbefinden beiträgt. Zudem wird die Vermehrung von Pilzen, Viren und Bakterien gehemmt. Gewürznelkenöl hat neben den positiven Effekten auf den Verdauungstrakt eine schmerzlindernde Wirkung, etwa bei Migräne.
    Das Wirken von Hildegard von Bingen markierte den Höhepunkt der Klostermedizin – aber auch ihren Endpunkt. Denn

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