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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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heute, viel Glück.«
    Er stakste dem Dicken hinterher, bei dem es sich um Reimers handeln musste.
    Was ist denn das für eine Knalltüte?, dachte ich. Der bringt ja keinen Satz gerade heraus. Und dann noch in derselben Verbindung wie mein Vater. Den schnapp’ ich mir!
    Vorerst schnappte ich aber nur nach Luft, denn als der vorsitzende Richter um Punkt zehn Uhr fünfzehn seine Tür öffnete, waren die Polyakows wer weiß wo, aber nicht dort, wo sie sein sollten.
    Um zehn Uhr siebzehn bogen die drei um die Ecke, Rostislav und Artjom – mein Herz machte einen Flickflack – in eleganten, dunkelgrauen Zweireihern, Darya in einem grünen taillierten Lodenkostüm, zu dem sie ein passendes Hütchen trug, an dem eine riesige Fasanenfeder zitterte. Halali, die Jagd auf Reimers war eröffnet.
    Unter den tadelnden Blicken des Richters setzten wir uns, Darya mit unterdrückter Stimme auf Rostislav einredend, ihr Sohn unter dem Tisch mein Knie tätschelnd.
    »Artjom«, hauchte ich und schob seine Hand weg, »deine Mutter muss jetzt bitte still sein!«
    Darya verstummte.
    Der Richter stellte kurz die Personalien der Anwesenden fest und sagte mit dem Anflug eines Lächelns: »Wie ich dem außerordentlich ausführlichen Schriftsatz von Frau Matthes entnommen habe, sind wir hier auf der Suche nach einem verschwundenen Cello. Ich bin guter Dinge, dass wir es wiederfinden. Frau Matthes, Sie haben das Wort.«
    Möglichst sachlich schilderte ich den Tathergang aus Sicht der Polyakows, erwähnte wie beiläufig die Wohnungsmängel, die das Ehepaar zum Auszug bewogen hatten, ließ kurz die einzigartige Geschichte des Violoncellos anklingen, um dann mit einem gewissen Pathos nicht nur auf den monetären, sondern auch ideellen Wert des Instruments zu verweisen, das sich seit Generationen im Besitz dieser jüdischen Immigranten befand. Artjom hatte meine Ausführungen flüsternd übersetzt, alle Polyakows waren zu Tränen gerührt. Ich war gut, sehr gut. Am liebsten hätte ich mir selbst auf die Schulter geklopft.
    Grimmig schaute ich zu Reimers und Schubert, die beide mit hochroten Köpfen nebeneinandersaßen. Unterdrückte Wut? Verzweiflung und Scham angesichts ihrer drohenden Niederlage? Auch der Richter wandte sich ihnen zu.
    »Nun, die Gegenseite hat ja darauf bestanden, erst vor Gericht Stellung zum Sachverhalt zu nehmen. Ich bin gespannt. Herr Schubert, bitte …«
    Kollege Schubert richtete sich zu voller Größe auf, alles Linkische fiel von ihm ab, er lächelte diabolisch und sagte nur ein einziges Wort: »Vermieter-Pfandrecht.«
    Der Richter starrte ihn verblüfft an, ich starrte mit.
    »Bitte?«
    »Mein Mandant hat beim Auszug seiner ehemaligen Mieter lediglich von seinem Vermieter-Pfandrecht Gebrauch gemacht.« Schuberts Sprachanomalie war wie weggewischt.
    Nach einer kurzen, dramatischen Pause führte er in präzisen, an Schärfe und Süffisanz kaum zu überbietenden Sätzen aus, dass die Polyakows den Mietvertrag gar nicht gekündigt hätten. Sein Mandant habe das Ehepaar zufällig bei ihrem Auszug überrascht, als er zum wiederholten Male vor ihrer Tür stand, um höflichst an die für zehn Monate ausstehende Miete zu erinnern.
    »Als Anlage eins überreiche ich hier den Mietvertrag nebst schriftlichen Mahnungen, versandt per Einschreiben mit Rückschein von Herrn Reimers«, schnarrte Schubert.
    Kurz wurde mir schwarz vor Augen, hektisch studierte ich die Kopien, die er auch für mich vorbereitet hatte.
    »Frau Matthes? Ihre Mandanten schulden Herrn Reimers zehn Monatsmieten?« Der Richter sah mich fragend an.
    »Ich, äh, ich bitte um eine kurze Unterbrechung, um mit Herrn und Frau Polyakow Rücksprache zu halten«, stammelte ich.
    »Nur zu, nur zu. Wenn’s denn hilft.«
    »Bewegt euch!«, zischte ich und stapfte auf den Flur.
    Drei arme Sünder schauten mich draußen mit großen, blanken Augen an.
    »Stimmt das, Artjom? Deine Eltern haben zehn Monate lang keine Miete gezahlt? Und wollten dann heimlich ausziehen?«
    »Na ja, ganz so ist es nicht«, erwiderte Artjom beleidigt, »mein Vater hat wegen der Mängel die Miete gekürzt.«
    »Aus den Unterlagen hier geht hervor, dass er gar nichts gezahlt hat …«
    »Also radikal gekürzt«, sagte Artjom.
    »Und das erfahre ich erst jetzt? Vom Anwalt der Gegenseite? Seid ihr noch ganz dicht?« Ich musste meine Stimme dämpfen.
    »Mein Vater dachte nicht, dass das wichtig ist, es geht hier doch um das Cello, nicht um die Wohnung«, blaffte Artjom zurück.
    »Aber wenn ihr

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