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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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gibt.«
    Der Kanarienvogel stieg auf eine Minibühne unter der Discokugel, schnappte sich das Mikrofon und erzählte zum Warmwerden einen russischen Witz, den er auch auf Deutsch übersetzte:
    »Russland und Deutschland spielen Fußball. Die Deutschen führen drei zu null. Ein alter Russe ruft: ›Los, los, wir haben 1945 doch auch gewonnen!‹ In der Nähe sitzt ein Georgier und sagt: ›Opa, damals hattet ihr einen anderen Trainer.‹«
    Brüllendes Gejohle und Schenkelklopfen bei den Russen. Ratloses Schweigen bei den Deutschen.
    »Artjom«, flüsterte ich meinem Mann ins Ohr, »den hat keiner verstanden. Ich auch nicht …«
    Artjom wischte sich die Lachtränen aus den Augen und japste: »Stalin, Paula, Stalin!«
    »Was ist mit Stalin?«
    »Der war doch Georgier!«
    Derart humorvoll ging es weiter. Der Tamada unterhielt uns während des Essens mit kleinen Gesangseinlagen, launigen Ansprachen und Spielen, bei denen jeder Gast einmal mitmachen durfte.
    In schöner Erinnerung blieb allen, dass der Brautvater unter Protest aus dem Restaurant geführt wurde, kurz darauf in Frauenkleidern zurückkehrte und ein russisches Gedicht aufsagen musste. Mutter erstickte fast an einem Lachkrampf, ich biss mir auf die Lippen vor Vergnügen. Vater bewahrte während des Schauspiels Haltung, sprach danach aber zwei Stunden kein Wort mit uns.
    Natürlich hielt Rostislav eine Rede, Mischa hielt eine Rede, auch Mutter fand warme Worte und betonte mehrmals, wie froh sie sei, dass ihre Tochter doch noch einen Mann gefunden habe.
    In regelmäßigen Abständen schrien alle: »Gorka, gorka«, woraufhin Artjom und ich Wodka trinken und uns küssen mussten. Der Sinn dieses Rituals erschloss sich mir nicht, aber ich hielt eisern mit.
    Im Laufe des Abends schwoll die Musik zu ohrenbetäubender Lautstärke an, alle tanzten, Artjom und ich flogen über die Fliesen, Tante Irmi wurde von ihren Kasachen durch die Luft gewirbelt.
    Zwischendurch flatterte ich artig von Grüppchen zu Grüppchen, wurde geherzt und gedrückt und landete irgendwann an der Bar, an der sich Vater und Bernhard festhielten.
    »Na, Papa, geht’s dir wieder gut?«
    Vater, der auch schon den einen und anderen Kartoffelschnaps genossen hatte, legte seinen Arm schwer um meine Schulter.
    »Paulchen«, nuschelte er, »ach, Paulchen.« So hatte er mich nur als Kind genannt. »Ich hoffe, du weiss, wassu tust.«
    »Mach dir keine Sorgen, Papa. Alles ist gut.«
    »Bissu sicher?«
    »Ganz sicher.«
    Bernhard stierte mich aus blutunterlaufenen Augen an. »Dolles Kleid, Paula. So was hättest du früher nie getragen.«
    »Stimmt. Aber früher hätte ich in so einem Kleid auch Perlen vor die Säue geworfen.«
    Unsere gepflegte Konversation endete abrupt, da es im hinteren Teil des Restaurants noch lauter wurde. Wie sich später herausstellte, hatten sich der Schweinehändler und Nikolai bei Tisch ausnehmend gut verstanden. Und so hatte Nikolai dem neuen Freund ahnungslos sein Herz ausgeschüttet. Wie verliebt er sei und wie unglücklich, weil seine Geliebte nie und nimmer bereit wäre, Mann und Kinder zu verlassen.
    Es dauerte eine Weile, bis der Schweinehändler begriff, dass die Geliebte seine Gattin war und er der zu verlassende Mann. Als er es endlich verstand, zerrte er Nikolai von seinem Stuhl, nahm ihn in den Schwitzkasten und schleppte ihn vor die Tür. Unter den Anfeuerungen der anderen Männer begann ein ungleicher Kampf, da der Deutsche mindestens doppelt so breit und schwer war wie sein russischer Widersacher.
    »Artjom, tu doch was!«, rief ich.
    »Quatsch, die vertragen sich gleich wieder«, sagte Artjom mitleidslos.
    »Der bringt ihn um!«
    »Ach was, nur ein kleiner Disput unter Kerlen.«
    Wie immer behielt er recht. Nachdem der Schweinehändler Nikolai ordentlich vermöbelt hatte, taumelten die Kontrahenten Arm in Arm zurück ins Restaurant. Aus Nikolais Nase tropfte Blut, das linke Auge des Schweinehändlers schwoll zu, dem Russen war es doch gelungen, einen Haken zu landen.
    Heike hatte sich während der Auseinandersetzung in eine Ohnmacht geflüchtet, aus der sie nur widerwillig erwachte. Ihr Schweinehändler beugte sich über sie und schluchzte:
    »Du darfst mich nicht verlassen. Bitte verlass mich nicht!«
    »Natürlich nicht, du Vollidiot. Ich lieb’ dich doch. Aber musst du dich immer gleich prügeln?«
    Viele der ausländischen Gäste hatten ob der bewegenden Szene Tränen in den Augen, und man fand, dass die Ehre des Schweinehändlers ausreichend

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