Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
Vom Netzwerk:
einem dieser hauchdünnen Negligés, die ich neuerdings trug, auf dem Weg zur Küche über Opa stolpern.
    Mein kleines Arbeitszimmer, das sich mit einem bequemen Schlafsofa für Übernachtungsgäste eigentlich anbot, hatte Artjom mit seiner Kleidung zugemüllt. Leider war das Fassungsvermögen unseres neuen Schlafzimmerschranks doch begrenzt, dafür entschädigte uns die Spiegelfront mit unerwarteten Einblicken in unser Liebesleben.
    »Kannst du das bitte mal sortieren?«, fragte ich ihn und deutete auf die Klamottenberge.
    »Warum?«
    »Dann können wir die Sachen, die du nicht so oft trägst, in den Keller bringen.«
    »Warum?«
    »Um Platz zu schaffen.«
    »Ich ziehe das aber alles ganz oft an.«
    »Na gut, dann wandert alles nach unten.«
    Artjom sortierte widerwillig, auch der Schreibtisch landete im Keller. Ich würde eh nicht zu Hause arbeiten können, solange wir Besuch hatten. Ich besorgte noch ein schlichtes Nachtschränkchen und eine kleine Lampe und hängte einen von Artjoms Gobelins an die Wand. Brunftiger Auerhahn, balzend. Ich war sehr zufrieden mit meinem Werk.
    Als das Begrüßungskomitee, bestehend aus Rostislav, Darya, Artjom, Mutter und mir – Vater saß mit der dicken Eika noch im Schmollwinkel –, an einem Mittwoch endlich zum Flughafen eilte, waren alle sehr aufgeregt. Wie immer waren wir spät dran und die Passagiere aus Kiew längst ausgecheckt.
    Fieberhaft durchsuchten wir die Ankunftshalle. Ich wusste nicht, wie Alexej aussah, Artjom hatte in seiner Unordnung kein Foto gefunden, in meiner Fantasie aber hatte sich das Bild eines schmächtigen, gebeugten Greises verfestigt, der nun orientierungslos und verängstigt in Fuhlsbüttel herumirrte.
    Nachdem wir eine halbe Stunde vergeblich alle Geschäfte und Restaurants abgeklappert hatten, gingen wir zu einem Informationstresen und ließen ihn ausrufen. Kurz darauf erschien ein Zollbeamter, der uns sagte, dass Alexej eine große Menge nicht ordnungsgemäß deklarierter Waren mit sich führe, deren Herkunft und Inhaltsstoffe es erst einmal zu klären gelte.
    »Wollen Sie damit etwa unterstellen, dass Herr Polyakow schmuggelt?«, regte ich mich auf.
    »Das untersuchen wir gerade.«
    »Ich bitte Sie! Der arme alte Mann kennt sich doch mit den deutschen Einfuhrbestimmungen nicht aus. Und bestimmt ist er müde von der Reise …«
    »Müde wirkt der nun wirklich nicht«, antwortete der Zöllner und bat Artjom, mit ihm zu kommen.
    Zwei Stunden später hetzte mein Mann an uns vorbei und mit vier Gepäckwagen zurück. Eine weitere halbe Stunde verging. Dann kamen Enkel und Großvater, begleitet von zwei Flughafenmitarbeitern, die ihnen halfen, die Wagen voller Kisten, Koffer, Taschen und Pakete zu manövrieren.
    Ich starrte fassungslos auf das Gepäck und auf den Mann an Artjoms Seite. Mein Gatte war schon groß, knapp eins neunzig, der andere Kerl konnte ihm ohne Mühe auf den Kopf spucken. Mister Muskelberg, bekleidet mit einem knallgrünen Trainingsanzug, schob sich nun auf uns zu und lachte dröhnend. In seinem Mund blinkte und blitzte es. So viele Goldzähne in nur einem Gebiss hätte ich nicht für möglich gehalten. Seine Ähnlichkeit mit dem »Beißer« aus alten James-Bond-Filmen war erschreckend.
    Mit Bärenpranken hob er seinen Sohn in die Höhe, schwenkte ihn mühelos herum und brüllte: »Moj ssyn!« Rostislav weinte, Artjom weinte, natürlich weinten alle, selbst Mutters Augen glänzten feucht – das konnte aber auch die nackte Angst sein.
    Ich überlegte verzweifelt, wie wir das Gepäck transportieren sollten und ob mir meine Nachbarin vielleicht für ein, zwei Wochen ihren Keller als Zwischenlager vermieten würde, als es mir den Boden unter den Füßen wegriss. Der Beißer hatte mich erwischt, presste mich an seine breite Brust und schrie mit seinem unglaublichen Organ: »Paula, Paula«, direkt in mein Ohr. Ich war einem Hörsturz nahe, wusste nun aber, wem Artjom seine Stimme verdankte.
    Deduschkas Erscheinung gepaart mit seiner Wiedersehensfreude hatten unterdes einen kleinen Menschenauflauf verursacht, Reisende blieben stehen, flüsterten und zeigten mit dem Finger auf uns. Ich mahnte daher zum Aufbruch und organisierte zusätzlich zum alten Ford ein Großraumtaxi.
    Nachdem alles und alle verstaut waren, rollten wir los. Im Auto wandte ich mich vorsichtig an Artjom.
    »Was will dein Großvater mit all den Sachen?«
    »Na, er bleibt ja ein bisschen.«
    »Was heißt ›ein bisschen‹?«
    »Also, sein Touristenvisum gilt für drei

Weitere Kostenlose Bücher