Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
machte ein Geräusch, das wie »Pffffff« klang, und sagte im Hinausgehen, er werde nun auf die Datscha fahren und hoffe, dass ich mich bis zum Abend beruhigt habe. Dann werde er mich schick zum Essen ausführen und mir alles erklären.
Kaum war er draußen, packte ich in Windeseile eine Reisetasche, simste Irina, dass wir eine Woche Betriebsferien machen würden – bei vollem Lohnausgleich –, und rief Heike an.
»Sag mal, haben deine Eltern noch die Ferienwohnung auf ihrem Hof?«
»Klar.«
»Ist die gerade frei?«
»Bestimmt. Wir haben Februar, wer will da in Dithmarschen Urlaub machen?«
»Ich.«
»Du?«
»Tu mir einen Gefallen, und stell keine Fragen.«
»Okay, ich sag meinen Eltern Bescheid, dass du kommen willst. Wann genau?«
»Jetzt gleich.«
»Oha.«
Ich schrieb Artjom einen weinerlichen Brief, dass ich ihn zwar lieben würde, aber nicht mehr wüsste, wie es weitergehen solle mit uns, dass ich enttäuscht von ihm sei, dass ich ihm nie wieder etwas glauben könne und dass ich eine Auszeit bräuchte, um mir über unsere Beziehung klarzuwerden.
Ich zerriss den Brief und hinterließ einen Zettel mit der schlichten Botschaft: »Muss nachdenken. Brauche Ruhe.« Ich plünderte unsere Weinvorräte und schnappte mir drei Bücher, die Lena mir kürzlich geschenkt hatte – »Von Vladimir Sorokin, musst du lesen!« Ohne weiter nachzudenken, schmiss ich meine Habseligkeiten in den Kofferraum und machte mich auf zur Autobahn Richtung Husum.
Ihr könnt mich alle mal!, dachte ich.
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20
D ithmarschen im Februar war wirklich keine Reise wert. Der Tag war dunkel, das flache Land flog als grau-bräunlicher Brei an mir vorüber. Unzählige Windkrafträder drehten sich behäbig mit ihrem traurigen Flop-Flop. Die perfekte Kulisse für meine Stimmung.
Als ich kurz vor Schülp auf den Hof von Heikes Eltern einbog, hatte ich vom Weinen rot geränderte Karnickelaugen. Ich betrat das große Bauernhaus und fand Heikes Mutter in der Küche.
»Na, min Deern, du siehst ja ’n büschen schietig aus«, begrüßte sie mich. »Wills du wat eeten?«
»Nee, danke, hab keinen Hunger«, antwortete ich.
»Beeten schnacken?«
»Sei mir nicht böse, mir ist im Moment nicht nach reden. Aber danke, dass ich so spontan vorbeikommen durfte.«
Die Bäuerin nickte langsam. Sie nahm ein paar Schlüssel von einem Bord und brachte mich in das kleine Ferienhaus, ein ehemaliger Schafstall, der etwas abseits vom Haupthaus lag.
Ein Wohnzimmer mit Bollerofen, eine Schlafkammer, eine Miniküche, ein Bad. Niedrige Decken, alte Holzmöbel, winzig und gemütlich, genau das Richtige für meine Zwecke.
»Brauchs du noch wat?«, fragte mich Heikes Mutter. Ich schüttelte den Kopf, und sie ließ mich allein.
Ich holte meine Sachen aus dem Auto, steckte Holz in den Ofen, entkorkte die erste Flasche Wein, legte mich aufs Sofa, hörte beim Trinken dem Knacken des Feuers zu und schlummerte weg. Mitten in der Nacht erwachte ich, leicht gerädert, und tastete nach meinem Handy. Kein Anruf. Keine SMS .
Das kann ja wohl nicht wahr sein, dachte ich, wieso ruft der Mistkerl nicht an? Will der gar nicht wissen, wo ich bin?
Ich erinnerte mich an Mischas Aufstand, als Lena verschwunden war, und musste schon wieder weinen. Von Selbstmitleid gebeutelt, trank ich den Wein aus und wankte ins Bett.
Die erste Hälfte des nächsten Tages verbrachte ich im Schlafanzug vor dem Fernseher und schaute bis kurz vor der Besinnungslosigkeit merkwürdige Doku-Soaps, Talkshows und Shopping-Kanäle. Gar nicht so schlecht, das Angebot, dachte ich und bestellte ein exklusives Antifalten-Spezialkonzentrat für mich, einen exklusiven Spezialhandschuh zur Entfernung von Tierhaaren für Mutter und eine exklusive Handkreissäge mit Doppelsägeblatt für Alexej.
Dann raffte ich mich auf und ging an die frische Luft. Ein eisiger Wind pfiff über die kahlen Felder, zwei Stunden marschierte ich über einsame Wege, ohne einem lebenden Wesen zu begegnen. Als ich auf den Hof zurückkehrte, fand ich vor meiner Tür eine Schüssel mit noch warmem Kohleintopf und eine Packung frischer Eier. Der Gedanke an Agathe füllte meine Augen erneut mit Tränen.
Ein Blick auf das jungfräuliche Display meines Handys ließ mich die nächste Flasche Riesling öffnen. Nach drei Gläsern war ich mutig genug und wählte Artjoms Nummer.
»Allo?«, meldete sich sein brummender Bass. Schnell legte ich auf. Was sollte ich auch sagen? Hallo, hier ist deine Frau, frag doch mal, wie’s mir geht.
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