Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
Vì an, dann uns beide. Er schien unsere Schutzimpfungen für ausreichend zu befinden, denn er antwortete: »Sie ist in siebzig Prozent der Fälle tödlich.«
»Aber Ihrer Erfahrung nach …«, versuchte sie wieder.
Er unterbrach sie: »Siebzig Prozent ist eine Zahl, die meiner Erfahrung als Chirurg leider sehr nahekommt.«
»Aber wird das denn nötig sein … Ich meine, steht schon fest, dass diese zweite Operation gemacht wird?«, fragte ich mit einiger Mühe.
»Es ist möglich, aber wir können es nicht mit Gewissheit vorhersagen. Körperlich ist er robust, doch die Leber ist in äußerst schlechtem Zustand.« Er beugte sich zu mir. »Uns bleibt nicht mehr zu tun, als zu warten und das Beste zu hoffen.« Er öffnete die Hände und drehte die Handflächen nach oben, eine Geste, die mir wie das Zeichen einer Kapitulation vorkam. »Es war eine langwierige Operation. Warten wir ab und sehen, was kommt.«
Uns wurde nicht erlaubt, ihn zu sehen. Er stand noch unter Narkose, an die Schläuche einer Maschine angeschlossen. Das war alles. Frescotti verließ uns und wurde von den Türen eines Aufzugs verschluckt.
Wir blieben dort stehen, neben uns der Pfleger, der uns eine Weile betrachtete, während er vielleicht nach einer Bemerkung suchte, die sich gleichzeitig beruhigend und klug anhörte.
Keiner sprach.
In der Stille des Wartesaals beobachtete ich Virginia verstohlen. Sie fuhr sich nervös mit den Händen über die Knie, immer wieder vor und zurück. Wahrscheinlich war der Chef ihre letzte Chance, in einer Zweierbeziehung glücklich zu werden. Und möglicherweise überlebte er nicht, entweder jetzt oder nach der zweiten Operation, und würde den Rest ihrer Träume mit sich nehmen. Ich begriff, dass sie ihn liebte.
Francesca ging mehrmals zum Münztelefon. Dieser Mauro verbrachte die Nacht mit Warten auf ihre Anrufe. Ich stellte ihn mir vor, wie er müde, im Schlafanzug auf einem unbequemen Sessel saß, das Telefon anstarrte und sich mit dem Gedanken an die Mönchsrobbe wachhielt. Auch das war, obwohl er immerhin im Sessel saß, ein klarer Liebesbeweis. Ich hatte ihm unrecht getan. Er war ein Schwachkopf voller Leidenschaft.
Jetzt gab es nichts mehr, was ich tun konnte, also wäre ich gerne nach Hause gefahren, um ein paar Stunden auszuruhen und mich dann zur Trak zu begeben. Das Problem war die Fahrt. Busse gab es keine mehr, und Virginia konnte ich schlecht bitten, mich nach Hause zu bringen.
Nach einer Weile entschied jemand, dass wir zu ihm hineindurften. Ich sah den Pfleger am Telefon reden, dann aufstehen und jene Tür öffnen, der er einen Großteil seiner Lebensenergien widmete.
Vì und Fra brachen in Tränen aus, sobald sie ihn sahen. Hinter der Glasscheibe lag der Chef, von einem Bett fast verschluckt, den Oberkörper etwas aufgerichtet, das Gesicht entspannt, die Augen geschlossen, der Mund hinter einem Beatmungsgerät versteckt. Der Raum war in ein fahles Licht getaucht. Ein intermittierendes, erschöpftes Piepen war das einzige Geräusch, das aus dieser Druckkammer kam.
Eine Krankenschwester in blütenreinem Weiß flatterte um das Bett herum wie ein Schmetterling, drückte Tasten, überprüfte den Infusionstropf, rückte die Decken zurecht, wachte über den Chef, wie sein Leben lang keiner je über ihn gewacht hatte.
Das ist alles sehr ungerecht, dachte ich. Immerhin versuchte dieser Mann gerade, wieder in die Spur zu kommen: Er hatte zu trinken aufgehört, hatte eine Arbeit gefunden und eine Frau, kurzum, er meinte es ernst, verdammte Scheiße.
Der Chef bewegte sich nicht, und viel war von diesen wenigen Minuten Besuch nicht zu erwarten, schien mir. Ich warf einen letzten Blick auf ihn und ging hinaus.
Draußen, direkt vor der Tür mit Schreibtisch, stand, eine abgetragene Nike-Mütze in den Händen, der Bruder vom Chef, Onkel Cosimo.
Die Robbe hatte ihn benachrichtigt. Immer so aufmerksam. Ich hatte nicht mal daran gedacht. Als er mich sah, umarmte er mich, er war immer schon ein liebevoller Mensch gewesen.
Er musste wohl mit dem Pfleger gesprochen haben, denn er sagte sofort: »Na, wenigstens hat er die Operation problemlos überstanden, nicht wahr? Was meinst du?«
Ich nickte. So groß und kräftig mein Vater war, so klein und mager wie ein Skelett war der Onkel.
»Außerdem ist er keiner, der so leicht schlappmacht, stimmt’s?«, sagte er stolz und befreite mich aus seiner Umarmung.
Ich sagte ihm das, was er hören wollte, und bestätigte, meiner Meinung nach sei der Chef schon
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